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Vier Delfine schwimmen in eine Richtung, ein fünfter verlässt die Gruppe.
Eike Windscheid-Profeta, 14.03.2024

Wie die 4-Tage-Woche gelingt

Arbeitszeiten werden in Deutschland wieder kontrovers diskutiert: Müssen wir mehr und länger arbeiten, um den Fachkräftemangel aufzufangen und stabile Sozialkassen sicherzustellen? Oder bieten verkürzte Arbeitszeiten und eine 4-Tage-Woche Potenziale für die Arbeitszeitgestaltung der Zukunft?


Wenn es um Wohlstand und Produktivität geht, leuchten Forderungen nach einer pauschalen Ausweitung von Arbeitszeiten auf den ersten Blick ein. Allein: sie ist nicht nachhaltig. Eine Verlängerung von Wochen- und Lebensarbeitszeiten führt überhaupt erst in einen flächendeckenden Fachkräftemangel hinein.


Bekannt sind zum Beispiel arbeitswissenschaftliche Befunde, nach denen nicht nur Fehleranfälligkeit mit zunehmender Arbeitszeit zu, sondern auch Produktivität abnimmt (Beermann et al. 2019). Ebenfalls ist eine steigende Unfallhäufigkeit, je länger wir arbeiten, belegt. Und das nicht nur vor Ort am Arbeitsplatz, sondern auch auf dem Weg nach Hause (Arlinghaus 2021). Eine Ausweitung von Arbeitszeiten würde eine weitere Kumulation von Belastungen bedeuten, die auf lange Sicht in mehr und längere Krankenstände führt und dadurch eine mögliche Kumulation von Nachteilen im Alter, zum Beispiel schlechtere Gesundheit, herbeiführen könnte.


Zudem droht eine Verschärfung der bereits jetzt bestehenden Vereinbarkeitsproblematik, die viele Menschen von einer (vollen) Erwerbstätigkeit abhält und in Teilzeitbeschäftigung zwingt. Die geht wiederum mit schlechterer sozialer Sicherung einher, insbesondere im Alter. Arbeitszeitverlängerung trägt damit potenziell auch zu einer Zementierung von Gleichstellungslücken bei, etwa im Hinblick auf die Verteilung von Sorgearbeit und der damit verbundenen Benachteiligung von Frauen und insbesondere Müttern über den gesamten Lebenslauf hinweg.

Sozialpolitische Perspektiven verkürzter Arbeitszeiten

Das andere Ende der Diskussion um Arbeitszeiten bildet die 4-Tage-Woche. Befürworter*innen der 4-Tage-Woche führen an, dass eine Arbeitszeitverkürzung Autonomie und Selbstbestimmung fördert: Mehr Einfluss auf Lage und Dauer von Arbeitszeiten bedeute eine reale Anpassung an lebensphasenspezifische Zeitbedarfe. Eine Arbeitszeitverkürzung entsprechend einer 4-Tage-Woche biete somit große Chancen für Vereinbarkeit, Geschlechtergerechtigkeit und Egalität in der partnerschaftlichen Aufteilung von Sorgearbeit (Lott/Klenner 2018).


Zudem führte sie letztlich zu einer Entstigmatisierung von reduzierten Arbeitszeiten. Entspräche eine 4-Tage-Woche der Vollzeitnorm mit einer umfänglichen sozialen Sicherung, wäre dies ein Schritt zur Ausräumung von Problemen, die ansonsten mit Teilzeittätigkeiten verknüpft sind, wie etwa geringere Lebenseinkommen oder verminderte Karrierechancen etc. (Granados et al. 2019).  Es wäre auch ein Schritt in Richtung einer Umkehr der typischen Rechtfertigungslogik bei Verkürzung von Arbeitszeiten: Arbeitszeitverlängerungen müssten gesondert beantragt werden.


Zudem soll eine 4-Tage-Woche der nachhaltigen Gesunderhaltung von Beschäftigten zuträglich sein, die durch mehr freie Zeit in der Woche größere Gelegenheiten zu Regenration und Erholung bekämen. In der Konsequenz soll dies Beschäftigungsfähigkeit erhalten – ebenso, wie mehr Zeit für individuelle Fort- und Weiterbildung.

Arbeitszeitinteressen und subjektive Ansprüche an Arbeitszeit

Das sind vielversprechende Aussichten. Aber wird Arbeitszeitverkürzung auch individuell bevorzugt? Die Antwortet lautet: Ja, die Mehrheit der Beschäftigten in Deutschland wünscht sich kürzere Wochenarbeitszeiten – und keine Ausweitung (BAuA 2022). Über 80 Prozent der Vollzeittätigen können sich eine 4-Tage-Woche gut vorstellen (Lott/Windscheid 2023). Voraussetzung für die meisten ist aber: es muss sich um eine „reale“ Arbeitszeitverkürzung handeln, das heißt Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich.


Das ist kein trivialer Befund, denn es sind auch andere Varianten einer 4-Tage-Woche denkbar. Dazu gehören zum Beispiel Formen von Arbeitszeitverdichtung wie etwa im belgischen Modell, das 40 Stunden Arbeitszeit in vier Werktagen vorsieht. Das wünschen sich die Befragten aber gerade nicht – aus gutem Grund. Wenn Beschäftigte der 4-Tage-Woche skeptisch gegenüberstehen, dann befürchten sie vor allem, dass sich dabei nichts an Arbeitsabläufen und der Arbeitsmenge ändert, sodass die anfallende Arbeit nicht mehr zu schaffen ist.


Was sich die Befragten hingegen wünschen, ist mehr Zeit – und zwar für sich selbst (ca. 97 Prozent). Das ist Ausdruck des Wunsches nach mehr Zeitsouveränität und Autonomie, und zwar jenseits von Erwerbs- und Sorgearbeitsverpflichtungen.


Für viele Befragte bietet eine 4-Tage-Woche aber auch gute Chancen für mehr Vereinbarkeit und eine gerechtere (partnerschaftliche) Aufteilung von Care-Arbeit und mehr Zeit mit der Familie (ca. 89 Prozent). Auch werden verbesserte Chancen wahrgenommen, mehr Zeit für Hobbies, Ehrenämter oder Sport zu haben (ca. 87 Prozent). Das zahlt wiederum ein auf verbesserte Möglichkeiten der Regeneration, die vielen Befragten wichtig ist. Dies spiegelt sich auch in der Perspektive, über eine 4-Tage-Woche Arbeitsbelastungen reduzieren zu können (ca. 75 Prozent).


Quelle: Lott/Windscheid (2023)


Ein kleinerer Teil der Befragten lehnt eine Arbeitszeitreduktion auf vier Tage in der Woche grundsätzlich ab (insgesamt ca. 17 Prozent). Davon geben viele an, so viel Spaß an der Arbeit zu haben, dass kürzere Arbeitszeiten nicht gewünscht sind. Das bedeutet: Arbeitszeitgestaltung im Allgemeinen und Arbeitszeitverkürzung im Speziellen sollten stets auch Möglichkeit einer Opt-Out-Option für diejenigen beinhalten, die mehr und länger arbeiten möchten – und können.


Das weist wiederum vor allem auf eines hin: Autonomie und Selbstbestimmung in Bezug auf Lage und Dauer von Arbeitszeiten in der Woche, etwa in Abhängigkeit von Arbeitsfreude oder verfügbaren Ressourcen, sind von zentraler Bedeutung für Beschäftigte.

Gute Erfahrungen

Viele Beschäftigte in Deutschland haben in der Vergangenheit gute Erfahrungen mit Arbeitszeitverkürzung gemacht, etwa als sie pandemiebedingt in Kurzarbeit beschäftigt waren oder bereits in Branchen mit verkürzter Vollzeit tätig sind (etwa 35-Stunde-Woche in der Metall- und Elektroindustrie).


Viele Befunde deuten darauf hin, dass verkürzte Arbeitszeiten aber auch betriebswirtschaftlich und ökonomisch wünschenswert sind (z. B. Haraldsson/Kellam 2021). Ergebnisse internationaler Studien zur 4-Tage-Woche, aber auch aus Pilotversuchen in skandinavischen Ländern belegen, dass verkürzte Arbeitszeiten sowohl zu höherer Motivation unter Beschäftigten, verminderten Kündigungen und Kündigungsabsichten, zunehmenden Bewerber*innenzahlen sowie reduzierten Fehlzeiten führen (Schor et al. 2022). Daneben geht die Arbeitszeitverkürzung auch mit erwünschter betrieblicher Reorganisation und angepassten Arbeitsprozessen einher. Im Ergebnis konnte die jeweilige betriebliche Wertschöpfung bzw. Produktivität stabil gehalten oder sogar gesteigert werden (ebd.).


Darüber sind auch ökologische Effekte zu erwarten: Studien konnten etwa zeigen, dass mit einer Verkürzung von Arbeitszeiten um 1 Prozent pro Woche ein verminderter Ausstoß von Emissionen um ca. 0,8 Prozent einhergeht (Mompelat/Minio-Paluello 2021). Zudem lassen sich durch eine gesteigerte Arbeitszeitsouveränität Rebound-Effekte vermeiden, zum Beispiel wenn statt einer ressourcenintensiven Nutzung privater Kfz in knappen und fremdbestimmten Zeitkorridoren der öffentliche Nahverkehr für persönliche Erledigungen, Arbeitswege etc. genutzt wird.

Betriebliche Voraussetzungen

Um mögliche Potenziale der 4-Tage-Woche zu realisieren, kommt es auf die konkrete Umsetzung im Betrieb an. Eine reale Arbeitszeitverkürzung muss – wie jede Form von Arbeitszeitgestaltung – organisiert werden. Das ist voraussetzungsvoll, herausfordernd und erfordert eine systematische Steuerung sowie Anamnese von Arbeitsprozessen. Dazu gehört auch, etablierte Verfahren und Abläufe zu hinterfragen (Hellert 2022).


Nicht immer und überall bestehen dafür hilfreiche Systeme, wie etwa ein betriebsweites Demografie- oder Gesundheitsmanagement. Auch bleiben Organisation von Arbeitszeiten und Kompensation von Abwesenheiten oft einzelnen Führungskräften überlassen, die in der Regel über nur wenig Ressourcen verfügen, sodass im Ergebnis eher ad-hoc anstelle systematischer Vorgehensweisen stehen (Kümmerling et al. 2023).


Für reale Arbeitszeitverkürzung bedarf es jedoch einer umfassenden Arbeitssystemgestaltung. Bleibt diese aus, drohen bei einer Arbeitszeitverkürzung Mehrbelastung und Arbeitsverdichtung, etwa wenn eine gleichbleibende Arbeitsmenge nicht durch zusätzliches Personal oder eine effizientere Prozessgestaltung aufgefangen wird, sondern in kürzerer Zeit bearbeitet werden muss. Das würde nicht nur zu Vorbehalten gegenüber Arbeitszeitverkürzungen bei den Beschäftigten führen.Es wirkt sich auch negativ auf Sinnerleben und Motivation und die Gesundheit aus, was die potenziell positiven Wirkungen einer realen Arbeitszeitverkürzung konterkariert (De Spiegelaere/Piasna 2017).


Eine angepasste Arbeitsorganisation steht daher im Mittelpunkt einer wirkungsvollen Umsetzung vor Ort. Dazu gehören Reduktion von Arbeitsmengen mittels digitaler Technologien, Erreichbarkeitsregeln oder zusätzliches Personal – die Voraussetzungen im Betrieb können vielfältig sein und bedürfen sorgfältiger Prüfung.

4-Tage-Woche: Eine Ideallösung?

Auch wenn verkürzte Arbeitszeiten vielversprechend sind, weil sie auf viele soziale, ökonomische und auch ökologische Bedarfe einzahlen: die voraussetzungsvolle Umsetzung im Betrieb zeigt, dass die 4-Tage-Woche nicht pauschal und allgemeinverbindlich umgesetzt werden kann. Vielmehr geht es darum, passgenaue Lösungen zu erreichen, die zu Branche, Betrieb und Belegschaft passen – und dann systematisch umgesetzt werden können.


Denn eine kluge Arbeitszeitgestaltung folgt den individuellen sowie betrieblichen Erfordernissen. Das erfordert Wissen über Anforderungen und Möglichkeiten der Arbeitssystemgestaltung vor Ort sowie der lebensphasenspezifischen Bedürfnisse von Belegschaften. Interessenvertretungen und Sozialpartner sind die geeigneten Parteien, um tragfähige Arbeitszeitmodelle zu entwickeln.


Dabei gibt es viel Gestaltungsspielraum: Auch eine 4-Tage-Woche kann in unterschiedlicher Weise als reale Arbeitszeitverkürzung umgesetzt werden, etwa mit verkürzter täglicher Arbeitszeit oder mit festen oder rollierenden freien Tagen in der Woche. Im Idealfall können so Wahlarbeitszeitmodelle realisiert werden (djb 2016), die sowohl differenzierten betrieblichen Anforderungen Rechnung tragen als auch individuellen Bedarfen nach Zeitsouveränität.


Insofern kann die 4-Tage-Woche – unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung als reale Arbeitszeitverkürzung –als Schritt in Richtung von größerer Arbeitszeitsouveränität begriffen werden. Sie macht Hoffnung auf eine Abkehr von bislang geltenden Vollzeitnormen, die Vereinbarkeits- und Fachkräfteproblematiken zementieren.

Literatur

Arlinghaus, A. (2021): Lange Arbeitszeiten gefährden physische und psychische Gesundheit: Argumente für eine Arbeitszeitverkürzung aus arbeitswissenschaftlicher Sicht, in: WISO 44 (4), S. 43 – 57.

 

Deutscher Juristinnenbund (djb) (2016): Konzeption eines Whalarbeitszeitgesetzes (Kurzfassung). Berlin. https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/160227_WAZG_Kurzfassung.pdf

 

BAuA – Bundesanstalt für Arbeitsschutz- und Arbeitsmedizin (2022): Arbeitszeitreport Deutschland: Ergebnisse der BAuA-Arbeitszeitbefragung 2021. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/F2507.html

 

Beermann, B. / Backhaus, N. / Tisch, A. / Brenscheidt, F. (2019): Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu Arbeitszeit und gesundheitlichen Auswirkungen. BAuA Fokus. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Fokus/Arbeitszeiten.html

 

De Spiegelaere, S. / Piasna, A. (2017): The why and the how of working time reduction. Brüssel: European Trade Union Institute. https://www.etui.org/sites/default/files/2020-07/The%20why%20and%20how%20of%20working%20time%20reduction-2017-WEB-2.pdf

 

Granados, P. G. / Olthaus, R. / Wrohlich, K. (2019): Teilzeiterwerbstätigkeit: Überwiegend weiblich und im Durchschnitt schlechter bezahlt. DIW Wochenbericht Nr. 46/2019. https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.697144.de/19-46-1.pdf

 

Haraldsson, G. D. / Kellam, J. (2021): Going Public: Iceland’s journey to a shorter working week. Autonomy: https://autonomy.work/wp-content/uploads/2021/06/ICELAND_4DW.pdf

 

Hellert, U. (2022): Arbeitszeitgestaltung – welche Arbeitszeitmodelle passen für wen? In: Arbeitszeitmodelle der Zukunft. Haufe: München, S. 55 – 170.

 

Kümmerling, A. / Rinke, T. / Schmieja, V / Klammer, U. (2023): Keine Zeit mehr für Erwerbsarbeit? Lebensphasenbezogene Arbeitszeiten als betriebliche Herausforderung. Duisburg: Inst. Arbeit und Qualifikation. IAQ-Report 2023-10 https://duepublico2.uni-due.de/receive/duepublico_mods_00081355

 

Lott, Y. / Klenner, C. (2018): Are the Ideal Worker and Ideal Parent Norms about to Change? The Acceptance of Part-time and Parental leave at German Workplaces, in: Community, Work & Family, 21 (5), S. 564 – 580

 

Lott Y. / Windscheid, E. (2023): 4-Tage-Woche: Vorteile für Beschäftigte und betriebliche Voraussetzungen. WSI Policy Brief Nr. 79. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung.


Mompelat, Laurie / Minio-Paluello, Mika (2021): Stop the Clock. The Environmental Benefits of a Shorter Working Week. London: 4 Day Week Campaign. https://6a142ff6-85bd-4a7b-bb3b-476b07b8f08d.usrfiles.com/ugd/6a142f_5061c06b240e4776bf31dfac2543746b.pdf.


Schor, J. B. / Fan, W. / Kelly, O. / Gu, G. / Bezdenezhnykh, T. / Bridson-Hubbard, N. (2022): The Four Day Week – Assessing Global Trials of Reduced Work Time with No Reduction in Pay, For Day Week Global, Auckland, NZ, https://www.4dayweek.com/

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Eike Windscheid-Profeta 2024, Wie die 4-Tage-Woche gelingt, in: sozialpolitikblog, 14.03.2024, https://difis.org/blog/?blog=107

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