Care: Leistungslogik festigt Ungleichheit
Sorgearbeit in Paarbeziehungen bleibt ungleich verteilt. Wöchentliche Planungsmeetings und Schichtdienste für den Familienalltag versprechen Abhilfe. Doch können solche Praktiken Geschlechterungleichheiten abbauen? Nein, sagt Laura Lüth, die zu dem Thema forscht. Ungleichheiten halten durch die Hintertür wieder Einzug.
Im Jahr 1999 wurde der gesetzliche Anspruch auf Geschlechtergleichheit auf europäischer Ebene verankert. Mehr als 25 Jahre später bestehen Geschlechterungleichheiten weiterhin, sei es in der Aufteilung von Sorgearbeit oder in sozialstaatlichen Ansprüchen. Laut Zeitverwendungsstudie 2022 wenden Frauen in Deutschland im Schnitt pro Woche noch immer 10 Stunden mehr für Sorgetätigkeiten auf als Männer. Jede dritte Frau in Deutschland hat keinen Anspruch auf Elterngeld über der Armutsgrenze, bei den Männern hingegen nur jeder sechste. Frauen hatten im Durchschnitt im Jahr 2020 mit 60 Jahren gerade mal 970 Euro Rente zum Leben, während Männer im selben Alter 1420 Euro hatten (DIW 2025).
Interviews mit Paaren, die ich mit Kolleg*innen zwischen 2021 und 2022 im Forschungsprojekt ARCOHO geführt habe, zeigen, dass auch im Alltag viele Menschen ihre Ansprüche auf Geschlechtergerechtigkeit als verletzt erleben (Lüth/Zimmermann 2024). So berichtet Jana, eine Verwaltungsleiterin mit zwei Kindern im Teenageralter, die Kinderbetreuung ihres Mannes „funktioniere einfach nicht“. Irin, eine Journalistin mit zwei Kindern unter 10 Jahren, erklärt: „Mir ist es dann oft zu anstrengend, da denke ich mir, das [Bad putzen] habe ich ja schneller selber gemacht, ehe ich das irgendwie großartig da dreimal gesagt habe.“
Paare, die wir interviewt haben, versuchen, ihre verletzten Ansprüche auf gerechte Arbeitsteilung im Familienalltag selbst auszugleichen. Nicole, Sozialarbeiterin mit einem Kind berichtet beispielsweise über das Einführen wöchentlicher Meetings, auf denen genau abgesprochen wird, wer wann Sorgearbeit leistet, putzt, kocht oder die Kinder abholt: „Sonntagabend haben wir uns immer zusammengesetzt und haben in die nächste Woche geguckt und abgesprochen, wer was übernehmen kann.“ Norbert, Ingenieur mit zwei Kindern unter 10 Jahren, erklärt, seine Partnerin und er hätten „Schichtdienste“ eingeführt. „Dann passt das meistens doch ganz gut zusammen, dass wir, sage ich mal, beide unsere Arbeit schaffen und die Kinder uns beide noch mit Vornamen [kennen].“
Neue Praktiken – alte Ungleichheiten
Doch ermöglichen Praktiken wie wöchentliche Meetings und die Einführung von Schichtdiensten eine gerechtere Arbeitsteilung? Forschungsergebnisse zeigen, dass, obwohl Männer zunehmend mehr Sorgetätigkeiten übernehmen, die Planung und Durchführung des geschlechtergerechten Familienalltags, der wöchentlichen Meetings oder des Schichtdienstes oft an Frauen hängen bleiben (Alby et al. 2014). In unseren Interviews sehen wir außerdem, dass mit der Darstellung von Putztätigkeiten, Kochen oder Kinderbetreuung in Stunden und Minuten nicht nur deutlich wird, wer welche Tätigkeiten übernimmt und bestehende Ungleichheiten kritisierbar werden, sondern dass Geschlechterungleichheiten durch die Hintertür wieder einziehen.
Das sieht man beispielsweise, wenn in unseren Interviews die Frage nach der Vergleichbarkeit einzelner Tätigkeiten aufkommt. Zählt Kinderbetreuung genauso viel wie Kloputzen? Was ist mit den Tätigkeiten, die man nicht sehen kann und die häufig als „Mental-Load“ bezeichnet werden? Wer, welche Aufgaben übernimmt, wird mit Qualifizierungsunterschieden begründet, die sehr an die betriebliche Hierarchisierung zwischen höher qualifizierten planenden Tätigkeiten, wie der des Managements, und geringer qualifizierten ausführenden Tätigkeiten erinnern. So wird die „mentale“ Organisation der Aufgaben, beispielsweise die Nachmittagstermine der Kinder im Kopf haben oder die Planung des Familienalltags, von eher „durchführenden“ Tätigkeiten unterschieden, wie zum Beispiel Wäsche waschen oder Kochen (Lüth/Zimmermann 2024:487). Spiegelbildlich zu der betrieblichen Hierarchisierung zwischen Management und „ausführenden“ Tätigkeiten werden Ungleichheiten, hier in der Aufteilung von Sorgetätigkeiten, von Geschlechterungleichheiten zu individuellen Leistungs- und Qualifizierungsunterschieden. Ungleichheiten, zum Beispiel in der mentalen Organisation des Familienalltags, werden so allerdings nicht als Geschlechterungleichheiten sichtbar.
Leistungsprinzip für Care-Arbeit
Für Claus Offe war das Leistungsprinzip immer schon ein Garant nicht nur für Gleichheit, sondern auch für die Legitimation von Ungleichheiten.
„Das Leistungsprinzip [fungiert] nicht nur als Norm, die Gleichheit gewährleistet, sondern ebenso sehr als Legitimationsprinzip, das gesellschaftliche Ungleichheit rechtfertigt […] Das markante Gefälle der materiellen und immateriellen Lebenschancen, das sich in solchen Sozialstrukturen [kapitalistischen Industriegesellschaften] findet, bedarf einer erklärenden Rechtfertigung, die angesichts der egalitären Systemprämissen nicht mehr aus vorindustriellen Legitimationsmustern der Statusverteilung zu beziehen ist.“ (Offe, 1970:43-44)
Folgt man Offe, so ist das Leistungsprinzip nicht nur ein Prinzip, das Gleichheit verspricht. Es legitimiert auch Ungleichheiten in materiellen und immateriellen Lebenschancen. Findet das Leistungsprinzip im beruflichen Kontext Anwendung, werden damit beispielsweise Lohnunterschiede oder Unterschiede in Entscheidungsspielräumen erklärt. Durch das Leistungsprinzip werden diese Ungleichheiten im Betrieb als Unterschiede in individuellem Aufwand, in der Ausbildung, beruflicher Erfahrung oder im wirtschaftlichen Ertrag der Arbeit erfahren (ibid.:47). Findet das Leistungsprinzip im Familienalltag Anwendung, werden neue Ungleichheiten, wie der Mehraufwand von Frauen bei der Planung und Durchführung des geschlechtergerechten Familienalltags, über deren individuelle Qualifizierung, Erfahrung oder Effizienz gerechtfertigt. Sie werden somit als Geschlechterungleichheiten zunehmend unsichtbar. Anders als in der Arbeitswelt, wo Manager*innen höheren Status und Gehälter genießen, geht für Frauen das Management der Familie bisher gleichzeitig nicht mit besseren materiellen und immateriellen Lebenschancen einher.
Warum Ungleichheiten bestehen bleiben
Stattdessen gerät aus dem Blick, dass die realen Gefälle in den materiellen und immateriellen Lebenschancen zwischen Frauen und Männern durch individuelle Leistungsanstrengungen oder wöchentliche Planungstreffen im Privaten oft gar nicht ausgeglichen werden können. Wenn im Jahr 2024 noch jede zweite berufstätige Frau in Deutschland in Teilzeit arbeitet, hat der Mehraufwand von Frauen bei der Alltagsplanung der Familie nicht nur etwas mit „individueller Qualifizierung“ zu tun, sondern schlichtweg damit, dass sie als Frauen die einzigen sind, deren Arbeitszeiten Sorgearbeit und Haushaltsaufgaben überhaupt ermöglichen. Da Frauen in Deutschland im Schnitt jedoch nach wie vor 16 Prozent weniger verdienen als Männer, haben sie zwar oft mehr Zeit für Sorgearbeit, erhalten jedoch weiterhin nicht genug Geld, um eine Familie zu ernähren. Es sind genau diese Arbeitsbedingungen und Lohnunterschiede, die durch private Aushandlungen in der Familie nicht verändert werden können.
Wenn Geschlechtergerechtigkeit also ausschließlich als eine Frage der minutiösen, perfekten Aushandlung in der Familie erscheint, gerät zugleich auch sozialpolitisch aus dem Blick, welche Rolle Arbeitsbedingungen, Gehalt und Arbeitszeiten für die Erfüllung des gesetzlichen Anspruchs auf Geschlechtergerechtigkeit spielen. Das wird gegenwärtig besonders deutlich im politischen Diskurs über die Arbeitszeit. „Mit 4-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht halten können“, sagte der Bundeskanzler im Mai dieses Jahres. Die gerechte Verteilung der Sorgearbeit und die materielle Angleichung der Arbeitszeiten und Lebenschancen von Frauen und Männern werden dabei gar nicht thematisiert. Sie werden weiterhin depolitisiert und die private Sphäre der Familien verschoben.
Literatur
Alby, F./Fatigante, M/Zucchermaglio, C. (2014) “‘Somebody is Thinking about It’: Women as Household Managers in Dual-Earner Families.” Zeitschrift für Familienforschung 26 (1): 29–48.
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (2025): Rentenansprüche von Frauen bleiben mit steigender Kinderzahl deutlich hinter denen von Männern zurück. DIW Wochenbericht 12/25.
Lüth, L./Zimmermann, K. (2024): The managerial family? Family care work in Germany and Spain. Social Politics: International Studies in Gender, State and Society, 31 (3), S. 480 – 501.
Laura Lüth 2025, Care: Leistungslogik festigt Ungleichheit, in: sozialpolitikblog, 18.12.2025, https://difis.org/blog/care-leistungslogik-festigt-ungleichheit-185 Zurück zur Übersicht

Laura Lüth ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialökonomie der Universität Hamburg. Sie arbeitet in einem Forschungsprojekt zu politischen Machtressourcen der Absicherung „atypischer“ Beschäftigung in Deutschland und Spanien und lehrt (feministische) Theorien des (Sozial-)Staats sowie Einführung in die Wirtschaftssoziologie. In ihrer Promotion untersucht sie alltägliche sozialpolitische Forderungen nach Geschlechtergerechtigkeit im Ländervergleich.


























