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Ein Zehn-Euro-Schein und ein Zwanzig-Euro-Schein liegen zweknittert auf dem Asphalt.
Robert Misik, 16.06.2022

Österreichischer Paketdienst

Die Regierung in Wien schnürt Anti-Teuerungs-Pakete

Nach einem Autofahrerpaket und 150-Euro-Gutscheinen für Haushalte schnürt Österreichs Politik ein weiteres Maßnahmenpaket gegen die Teuerung. Für viele Menschen hat sich das Leben im vergangenen Jahr um 14 Prozent verteuert. 


Auf acht Prozent ist die Inflationsrate in Österreich im Mai geklettert und nicht nur Menschen mit geringem Einkommen ächzen unter der Teuerung, auch weit in die Mittelschichten hinein wissen viele Familien nicht mehr, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen. Die gestiegenen Spritpreise kosten für Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, leicht 100 Euro mehr im Monat, jetzt flattern den Leuten auch die höheren Rechnungen für Strom und Heizung ins Haus. Selbst die Fernwärme Wien will ihre Preise demnächst um 92 Prozent in die Höhe schrauben. Zwar wirbt die Fernwärme damit, effizient aus Industrieabwärme und der Müllverbrennung die Wohnungswärme zu speisen, doch real kommen rund zwei Drittel aus Gaskraftwerken. Beim Einkauf im Supermarkt fallen Konsumenten beinahe in Ohnmacht.


Und da sich die gesetzlich geregelten Preisanpassungen für Bestandsmieten an der allgemeinen Inflationsrate orientieren, stiegen mit April für viele auch die Wohnkosten um beinahe 6 Prozent. Der Preisanstieg im sogenannten „Miniwarenkorb“, also bei den Gütern des täglichen, notwendigen Bedarfs, betrug zuletzt astronomische 14 Prozent. Für die meisten stagnieren derweil die Einkommen – oder die Erhöhungen bleiben weit unter der Inflationsrate –, und ein Großteil von Sozial- und Transferleistungen ist überhaupt nicht indexiert. So nimmt es nicht wunder, dass der Ruf immer lauter wird: die Regierung müsse etwas tun.


Es ist eine Kakophonie an Forderungen, Regierungspaketen und geplanten Maßnahmen.


Schon im März reagierte die Regierung mit Maßnahmen, die speziell den Autofahrern und hier primär den Pendlern helfen. Die – oder im korrekten österreichischen Amtsdeutsch: „das“ – „Pendlerpauschale“ wurde erhöht, ebenso der „Pendlereuro“, also zwei Steuerabschreibposten für Beschäftigte, die zur Arbeit pendeln müssen. Faktisch ein Autofahrer-Paket.

Umverteilung nach oben

Diese Spritpreis-Subvention für den Berufsverkehr mag eine Prise schlauer sein als der deutsche Tankrabatt, soziale und ökologische Treffsicherheit hat diese Erleichterung aber keine, im Gegenteil: Je höher das Einkommen, umso höher die steuerliche Entlastung. Sie hilft also den Einkommensstarken mehr als den Bedürftigen, hinzu kommt die Tatsache, dass Wohlhabende häufiger Autos haben und im Durchschnitt auch häufiger aus dem idyllischen Eigenheim im Speckgürtel zur Arbeit pendeln als Menschen mit geringeren Einkommen. Faktisch ist es eine Umverteilung nach oben.


Für die Energierechnungen wurden quasi 150.- Euro-Gutschriften an einen Großteil der Haushalte verschickt (Spitzenverdiener dürfen sie nicht einlösen) – was angesichts der Teuerungen eher ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Bezieher von Mindestsicherung erhalten mehr: 300.- Euro als Einmalzahlung.


Die Senkung der Energieabgaben war bisher der größte Einzelposten und macht zumindest einen erheblichen Teil der wachsenden Stromkosten wett.


Gegenwärtig ist eine Reihe neuer Maßnahmen in Verhandlungen zwischen den Regierungsparteien – der Koalition aus der rechtskonservativen Volkspartei und den Grünen. So soll die ökosoziale Steuerreform – also der Einstieg in die CO-2-Besteuerung – auf Oktober verschoben, der damit verbundene „Klimabonus“ auf 250.- Euro jährlich für alle Haushalte angehoben werden. Der Grund: Einerseits will man den Benzinpreis nicht noch zusätzlich durch die CO-2-Besteuerung steigen lassen, andererseits wird die Rückvergütung dann praktisch zeitgleich mit der Steuer ausbezahlt – nicht erst rückwirkend. Und außerdem hat man Angst vor der populistischen Kampagne gegen die „Grünen-Steuer“. Ebenso sollen Sozialleistungen automatisch an die Teuerung angepasst werden. Manche Transfers wurden seit Jahren nicht oder kaum indexiert, so hat etwa die „Familienbeihilfe“ (eine monatliche Unterstützung von 120-190 Euro pro Kind, je nach Altersgruppe) in den vergangenen zwanzig Jahren um dreißig Prozent an Wert verloren. Vorgezogene Indexanpassung der Renten, dies und dass, alles mögliche ist in der Debatte oder in Verhandlungen zwischen den Regierungsparteien.

Koalitionsquerelen oder Koalitionsgerangel?

Die Sache wird nicht vereinfacht durch den Umstand, dass Österreichs Regierung zunehmend dysfunktional und handlungsunfähig ist. Die prekäre Koalition aus rechtskonservativer Volkspartei und linksliberalen Grünen war von Beginn an eher eine politische Zwangsehe zwischen nicht gerade befreundeten Partnern mangels Alternative. Durch die Skandalserien der Volkspartei, die dann auch zum Rücktritt ihres populistischen Frontmannes Sebastian Kurz führten, ist die Regierung seit Monaten nur mehr im Krisen- und Überlebensmodus. In Umfragen kommen beide Regierungspartner zusammen gerade noch auf 30 Prozent und sind damit weit von einer Mehrheit entfernt, wären demnächst Wahlen, was jetzt auch nicht zu mehr Souveränität beim Regieren führt. Da die Koalitionäre in vielen Fragen diametral auseinander liegen, blockieren sie sich gegenseitig. Zugleich brauchen die Parteien angesichts der verfallenden Popularität schlagzeilenträchtige Maßnahmen, die leicht an das eigene Klientel verkaufbar sind. Die Grünen setzen sich für die Prekärsten ein, die ÖVP wird die Einführung von Steigerungsautomatiken bei Sozialleistungen wo immer möglich zu verhindern suchen. Die ÖVP wiederum würde einen Spritpreisdeckel bevorzugen, das wiederum ist mit den Grünen nicht zu machen.


Angesichts des Gerangels kündigte der grüne Sozialminister ein Paket für Herbst an, was erst recht einen Aufschrei auslöste – schließlich brauchen die Menschen Hilfe sofort, nicht irgendwann. Die Debatte ist gereizt, was wiederum den grünen Vizekanzler und Parteichef Werner Kogler zu der unterschlauen Aussage verleitete, oppositionelle und mediale Kritik würde in Sachen Teuerung „eine Hysterie anzünden“. Die misssglückte Formulierung von der Teuerungshysterie klebt jetzt an ihm, auch wenn er sich später für die Formulierung entschuldigte.


Warum man nicht wenigstens die wichtigsten Sozialleistungen sofort indexanpassen könne, dafür haben auch so honorige Persönlichkeiten wie der Chef des Fiskalrats kein Verständnis mehr (ein Beratungsgremium der Regierung, nicht ganz unähnlich den deutschen „Wirtschaftsweisen“).


Ganz generell zielen praktisch alle Vorschläge, die in der Debatte herumschwirren, nicht auf eine Eindämmung des Preisanstieges ab, sondern auf die Kompensation für die Bürgerinnen und Bürger. Simpel gesagt: Geld verteilen, damit sich die Leute die höheren Preise wenigstens irgendwie noch leisten können. Die eher marktliberalen Ökonomen warnen, dies würde den Preisanstieg sogar noch zusätzlich befeuern – die eher gewerkschaftsnahen Ökonomen wenden ein, dass Hilfsprogramme die Nachfrage doch nicht steigern würden, da das Geld für Dinge ausgegeben würde, die sowieso nachgefragt werden – Strom, Heizung, Lebensmittel, Sprit, Miete. Beim Essen, Heizen und Wohnen ist die Preiselastizität ja nahezu null, wie die Ökonomen sagen würden.

Preiskontrollen anstatt Kompensationsmaßnahmen

Grundsätzlich ist Verteilungspotential da, weil die hohe Inflation via Mehrwertsteuer und teilweise auch durch steigende Nominaleinkommen (und damit steigende Einnahmen aus der Einkommensteuer) Mehreinnahmen für den Finanzminister von 7 bis 10 Milliarden Euro in den kommenden zwei Jahren ins Budget spülen könnten. Zuletzt war akkordiert, dass die „kalte Progression“ durch ein Anheben der Steuerklassen zumindest punktuell ausgeglichen werden soll – die letzten Details sind hier noch nicht bekannt.


Dass das Geld für den Finanzminister reichlich sprudelt ist natürlich ein bisschen theoretisch gedacht, da die gegenwärtige geopolitische und damit auch ökonomische Krise schwer berechenbar ist – es können Krisenkosten entstehen, die sich gewaschen haben, die aber schwer zu prophezeien sind. Bei den Praktikern in der Politik, vor allem jenen, die für die Aufrechterhaltung strategischer lebenswichtiger Infrastruktur zuständig sind, macht sich seit Monaten schon so etwas wie Panik breit.


Die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften fordern Senkungen der Mehrwertsteuer in Richtung Null Prozent zumindest bei den lebenswichtigsten Gütern des täglichen Gebrauchs, zudem Senkungen bei der Einkommensteuer, vornehmlich für untere Einkommensgruppen. Vereinzelte Stimmen plädieren für Preiskommissionen und amtliche Preisdeckel, etwa in der Mineralölwirtschaft, die Windfall-Profite einfährt. Auch Preisdeckel für Strom werden gefordert, da ein Großteil der Produktion aus erneuerbaren Energien wie Wasserkraft stammt – und der Strompreisanstieg nur aus der skurrilen Preisbildung auf den Energiemärkten erklärbar ist. „Die Preisbildung auf dem Energiemarkt muss endlich geändert werden“, sagt etwa Christian Kern, der ehemalige Bundeskanzler und Ex-Vorstand des Energiekonzerns „Verbund“.


Grundsätzlich wären solche Preiskontrollen und -steuerungen jedenfalls die nachhaltigeren Maßnahmen, da sie den Preisauftrieb dämpfen – anders als Kompensationsmaßnahmen, mit denen den Haushalten Geld überwiesen wird, damit sie die höheren Preise (und damit auch die Windfall-Profits der Energiewirtschaft) bezahlen können.


Es ist jedenfalls eine große Paketschnürerei, und man merkt den Regierenden an, dass sie einerseits Angst vor der Wut der Bevölkerung haben, zugleich die Notwendigkeit sehen, etwas zu tun – und sich sehr unsicher sind, was denn eine kluge und was denn eine blöde Maßnahme ist. So tut man einfach – in der Hoffnung, dass schon kein Unsinn rauskommt.  


Robert Misik 2022, Österreichischer Paketdienst, in: sozialpolitikblog, 16.06.2022, https://difis.org/blog/?blog=12

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