sozialpolitikblog
Straßenübergang in einer Stadt, auf der sich eine Vielzahl von Personen befindet. Die Personen, da in Bewegung, sind verschwommen.
Kai-Uwe Hellmann, Sebastian Nessel, 25.01.2024

Verbraucherpolitik als Sozialpolitik?

Stark gestiegene Preise für Energie, Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs machen es deutlich: Verbraucher- und Sozialpolitik liegen eng beieinander. Ein Appell für eine stärkere Verschränkung beider Perspektiven in der Politik und in der Forschung. 



Auf dem Deutschen Verbrauchertag am 26. September 2022 äußerte die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Steffi Lemke: „Bei der Abfederung der Folgen von steigenden Energiepreisen und Inflation vermischen sich Sozialpolitik und Verbraucherschutz stark.“ Im März 2023 verkündete das Ministerium dann: "Verbraucherpolitik ist auch Sozialpolitik". Und in ihrer Rede auf dem Deutschen Verbrauchertag am 27. November 2023 bekräftigte Frau Lemke erneut, dass der Verbraucherschutz in erster Linie ein Hebel für eine gerechte Sozialpolitik sein solle.


Alle drei Aussagen deuten darauf hin, dass Verbraucherpolitik der Tendenz nach auch in Deutschland sozialpolitisch relevanter werden könnte. Denn Verbraucherpolitik gewinnt aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage, erheblich gestiegener Energiepreise und einer zeitweilig besorgniserregenden Inflationsrate sozialpolitisch immer größeren Stellenwert. Verbraucherschutz kann dazu beitragen, die Grundversorgung vor allem von Bürgerinnen und Bürgern in prekären Verhältnissen unter anderem durch verminderte Tarife für grundlegende Güter wie Telekommunikation, Energie und Wasser oder Subventionen zur besseren Zugänglichkeit von Sach- und Dienstleistungen vor Schaden abzusichern. Diese Maßnahmen fallen in die Wohlfahrtsdimension der Verbraucherpolitik (Nessel 2019), die sich mit der Ausgabenseite der Verbraucherhaushalte befasst und somit die klassische Sozialpolitik ergänzt, die eher die Einnahmeseite adressiert.

Verbraucher- und Sozialpolitikforschung: Vorarbeiten

Die Möglichkeit, Verbraucherpolitik sozialpolitisch zu nutzen, gar sozialpolitische Funktionen zu erfüllen, mag auf den ersten Blick überraschen, wurde in der deutschen Verbraucherpolitikforschung aber wiederholt diskutiert:

 

So setzte sich Hermann Scherl 1978 mit der von David Caplovitz (1963) aufgestellten These ‚The Poor Pay More‘ auseinander, wonach Menschen mit geringem Einkommen auch verbraucherpolitisch schlechter gestellt sind, weil sie aufgrund ihrer prekären Lebensverhältnisse systematisch benachteiligt werden. Dies führte Scherl zu der Frage, ob man Armutsbekämpfung, mithin Sozialpolitik, nicht durch verstärkte Verbraucherpolitik betreiben sollte (Scherl 1978).

 

1993 definierte Gerhard Scherhorn in einem Lexikonartikel Verbraucherpolitik und wendete sich zuallererst dem sozialpolitischen Leitbild der Verbraucherpolitik zu (Scherhorn 1993).
 
2002 griff Frank Nullmeier die ‚Welfare Markets‘-These von Peter Taylor-Gooby (1999) auf und wandte sie auf die damalige deutsche Sozialpolitik an, die im Laufe der 1990er Jahre etablierte Wohlfahrtsleistungen wie Gesundheitsversorgung, Pflegeversicherung und Altersvorsorge vermehrt privatisiert hatte. Für Bürger und Bürgerinnen mit niedrigem Einkommen und geringer Bildung führte dies zu Überforderung wodurch Verbraucherschutz notwendig wurde, um am Ende die Sozialpolitik erneut auf den Plan zu rufen (Nullmeier 2002).
 
2005 stellte Lucia A. Reisch die Konzeption für eine Neue Verbraucherpolitik in Deutschland vor, in der sie – die Vorgehensweise von Gerhard Scherhorn (1993) aufgreifend – zuvörderst die sozialpolitische Dimension der Verbraucherpolitik diskutierte (Reisch 2005).
 
2009 ging Wolfram Lamping im Nachgang zu Nullmeiers Perspektive neuen Herausforderungen einer sozialpolitischen Verbraucherpolitik nach (Lamping 2009).
 
2015 ging Christoph Strünck der Frage nach, ob Verbraucherpolitik nicht sozialpolitisch sinnvolle Ziele unterstützen könnte (Strünck 2011).
 
2013 räsonierte Remi Maier-Rigaud in einem Editorial über verbraucherpolitische Entwicklungen, die auch als Herausforderungen in der Sozialpolitik verstanden werden könnten (Maier-Rigaud 2013).
 
Und 2021 unternahmen Christian Bala und Katrin Loer den Versuch, die Entwicklung der Verbraucherpolitik in Deutschland seit dem zweiten Weltkrieg nachzuzeichnen, wobei sie mit dem bisweilen schon früher verwendeten Terminus ‚Konsumpolitik‘ eine Perspektive vertraten, welche für die Verbraucherpolitik ebenfalls sozialpolitisch relevante Funktionen erkennen lassen (Bala/Loer2021).

 

Im internationalen Diskurs werden neben den Diskussionen über den Konsumismus und die Reformen des Wohlfahrtsstaates (Baldock 2003) auch die sozialen Funktionen der Verbraucherpolitik im Zusammenhang mit Energiearmut erörtert. Energiearmut bezieht sich auf Menschen, die Schwierigkeiten haben, ihre Energierechnungen regulär zu bezahlen und einen grundlegenden Zugang zu Energie zu erhalten (Bouzarovski et al. 2021). Fragen der Erschwinglichkeit und Zugänglichkeit grundlegender Sach- und Dienstleistungen sind ein relevantes Feld der Verbraucherforschung, und diese Fragen sprechen für mögliche Überschneidungen zwischen Verbraucher- und Sozialpolitik. 

Die sozialpolitische Funktion von Verbraucherpolitik

 Vor diesem Hintergrund, angeregt durch die medial kolportierte Aussage von Frau Lemke im September 2022, wurde am 12. September 2023 an der Technischen Universität Berlin eine Tagung zu der Frage durchgeführt, wie es um die aktuelle Zusammenarbeit zwischen Sozial- und Verbraucherpolitik bestellt ist. Höchst selektiv soll lediglich auf drei der im September gehaltenen Vorträge gesondert Bezug genommen werden, welche die These, dass Verbraucherpolitik auch sozialpolitische Funktionen wahrnehme, genauer diskutierten und mögliche Beziehungen zwischen Verbraucher- und Sozialpolitik ausloteten.

 

In seinem Vortrag ‚Soziale Rechte, soziale Dienste, soziale Aktivierung — sozialpolitische Modi der Verbraucherdemokratie und ihr Zusammenspiel‘ machte Jörn Lamla (Universität Kassel) deutlich, dass es für die im Titel genannten drei Bereiche erstaunliche Übereinstimmungen aus Sicht von Verbraucher- und Sozialpolitik gibt. So setzen sich Akteure aus beiden Politikbereichen für die Verbesserung der sozialen Grundrechte ein, zum Beispiel. die Achtung der körperlichen und geistigen Unversehrtheit. Auch befassen sich beide Politikbereiche mit der Bereitstellung von öffentlicher Infrastruktur und bieten zahlreiche soziale Dienstleistungen an, indem Sie etwa soziale Verbände unterstützen, Selbsthilfe organisieren oder politische Bildung betreiben. Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel anzunehmen, dass Verbraucherpolitik durchaus substitutiv einspringen könnte, wenn es um sozialpolitische Belange geht, und dass die Verstärkung verbraucherpolitischer Leistungen und Maßnahmen offenbar sozialpolitisch relevant ist, sofern sie für die Haushalte auf deren Ausgabenseite Verbesserungen und Vergünstigungen bewirken, die sich am Ende auf deren Einnahmeseite positiv bemerkbar machen.

 

Christoph Strünck (Universität Siegen) wiederum beschäftigte sich in seinem Beitrag ‚Verbraucherpolitik als Äquivalent für soziale Grundrechte? Zur Evolution sozialpolitischer Programme und Instrumente‘ mit der Elementarfunktion der Grundversorgung der Haushalte, für die primär der Staat zuständig ist und aufzukommen hat. Er argumentierte, dass in diesem Bereich, der unmittelbar auf die Lebensqualität der Haushalte zielt und damit sozialpolitisch von größtem Belang ist, eben auch verbesserte Verbraucherpolitik sozialpolitisch wirken kann, indem etwa Preisdeckelungen verordnet werden.

 

In einem weiteren Beitrag mit dem Titel ‚Transparenzbeitrag, Rechtsanspruch oder Umverteilungsinstrument? Zum Stellenwert der Verbraucherpolitik im modernen Wohlfahrtsstaat‘ richtete Sebastian Nessel (Wirtschaftsuniversität Wien) sein Augenmerk auf die besondere Klientel von Sozial- wie Verbraucherpolitik, nämlich vulnerable Bürger und Bürgerinnen. Er stellte fest, dass eine besondere Konvergenz der Gruppen, an die sich beide Politikfelder insbesondere richten, stattfindet. Maßnahmen, die vulnerablen Personen und Haushalten auf der Ausgabenseite helfen, optimieren letztlich auch deren Einnahmeseite und werden somit sozialpolitisch wirksam.

Drei Ansätze für ein Querschnittsthema der Forschung

Die Frage nach sozialpolitischen Funktionen der Verbraucherpolitik verdient weitere Aufmerksamkeit. Zum ersten wäre systematisch zu prüfen, ob die von Strünck geäußerte Vermutung, Sozialpolitik betreffe die Einnahmeseite, Verbraucherpolitik hingegen die Ausgabenseite der Haushalte, zutrifft. Damit verbunden ist die Frage, inwiefern sich verbraucherpolitisch bedingte Einsparungen auf der Ausgabenseite durch die damit erreichbare Erhöhung der Liquidität auf der Einnahmeseite auch sozialpolitisch auszahlen. Bildlich gesprochen würde eine solche Arbeitsteilung zwischen Sozial- und Verbraucherpolitik kommunizierenden Röhren gleichen (ihr gemeinsames Medium ist Geld): Wenn auf der Ausgabenseite gespart wird, wirkt sich dies positiv auf die Einnahmenseite aus, so als ob eine zusätzliche Sozialleistung gewährt wird.

 

Zum zweiten könnte überlegt werden, welche Finanzierungsmaßnahmen sowohl verbraucherpolitisch als auch in anderen Politikbereichen relevant sind. So erfüllt eine Verbilligung von Fahrpreisen im Öffentlichen Personennahverkehr, wie das deutschlandweite 49 Euro-Ticket, etwa verkehrspolitische Funktionen, und der (gescheiterte) ‚Mietendeckel‘ wie in Berlin 2021 sollte wohnungspolitische Schutz gewähren. Beide Maßnahmen führen aber auch dazu, dass die Ausgaben sozialer Akteure in Ihrer Rolle als Konsumierende sinken (sollen).

 

Zum dritten wäre zu fragen, welche Funktionen Verbraucherpolitik in anderen Politikfeldern im internationalen Vergleich erfüllen mag. Die nationalen Ausrichtungen von Verbraucherpolitik stellen sich im Vergleich ja recht unterschiedlich dar (Strünck 2006; Janning 2011; Nessel 2019). Von daher wäre es interessant herauszufinden, ob die Situation in Deutschland, soweit es die Kollaboration und Verschränkung von Sozial- und Verbraucherpolitik angeht, in Frankreich, Großbritannien, Italien, Schweden oder den USA ähnlich oder ganz anders ist.

 

Dieser Impulsbeitrag soll dazu anregen, die Forschungsfrage nach dem Verhältnis von Sozial- und Verbraucherpolitik weiter zu vertiefen. Ein möglicher Ansatzpunkt ist hierbei, die Ausgaben- und die Einnahmenseite aus Sicht der Haushalte zusammenzudenken. Dies würde an klassische Überlegungen aus den 1980er Jahre anschließen, die Verbraucherpolitik immer schon sozialpolitisch (mit-)gedacht und konzipiert haben (etwa Scherl 1978; Scherhorn 1993). Umgekehrt würde es sich lohnen, solche Ansätze der Sozialpolitik(forschung) zu sichten oder zu entwickeln, die sich stärker mit der verbraucherpolitisch relevanten Ausgabenseite befassen. Von einer engeren Verzahnung von Sozial- und Verbraucherpolitik würden so nicht nur die Bürgerinnen und Bürger, sondern auch die Forschungsperspektiven profitieren.

 

Literatur

Bala, C. & Loer, K. (2021). Konsum- und Verbraucherpolitik der Bundesrepublik Deutschland. In: C. Kleinschmidt & J. Logemann (Hrsg.): Konsum im 19. und 20. Jahrhundert. Berlin/Boston: de Gruyter/Oldenbourg, S. 589-616.


Baldock, J. (2003). On being a welfare consumer in a consumer society. Social Policy and Society, 21(3), 65–71.


Bouzarovski, S., Thomson, H. & Cornelis, M. (2021). Confronting Energy Poverty in Europe: a Research and Policy. Energies, 14, 1-19.


Caplovitz, D. (1963). The Poor Pay More. Consumer Practices of Low-Income Families. New York: The Free Press of Glencoe.


Janning, F. (2011). Die Spätgeburt eines Politikfeldes. Die Institutionalisierung der Verbraucherschutzpolitik in Deutschland und im internationalen Vergleich. Baden-Baden: Nomos.


Lamping, W. (2009). Verbraucherkompetenz und Verbraucherschutz auf Wohlfahrtsmärkten: Neue Herausforderungen an eine sozialpolitische Verbraucherpolitik. Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, 78(2), 44-62.


Maier-Rigaud, R. (2013). Editorial: Verbraucherpolitische Entwicklungen und Herausforderungen in der Sozialpolitik. Sozialer Fortschritt, 62(2), 41-43.


Nessel, S. (2019). Consumer Policy in 28 EU Member States: An Empirical Assessment in Four Dimensions. Journal of Consumer Policy, 42(4), 455-482.


Nullmeier, F. (2002). Auf dem Weg zu Wohlfahrtsmärkten? In: W. Süß (Hrsg.): Deutschland in den neunziger Jahren. Politik und Gesellschaft zwischen Wiedervereinigung und Globalisierung. Opladen: Leske und Budrich, S. 269-281.


Reisch, L. A. (2005). Neue Verbraucherpolitik. Ziele, Strategien und Instrumente. Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 34(8), 441-445.


Scherhorn, G. (1993). Verbraucherpolitik. In: A. Woll (Hrsg.): Wirtschaftslexikon. München: Oldenbourg, S. 703-705.


Scherl, H. (1978). Die Armen zahlen mehr – ein vernachlässigtes Problem der Verbraucherpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Zeitschrift für Verbraucherpolitik, 2, 110-123.


Strünck, C. (2006). Die Macht des Risikos.  Interessenvermittlung in der amerikanischen und europäischen Verbraucherpolitik. Baden-Baden: Nomos.


Strünck, C. (2011). Die Verbraucherpolitik braucht Pragmatismus statt wirklichkeitsferner Leitbilder. Wirtschaftsdienst, Heft 3, 165-168.


Taylor-Gooby, P. (1999). Markets and Motives. Trust and Egoism in Welfare Markets. Journal of Social Policy, 45(1), 97-114.

 


Kai-Uwe Hellmann und Sebastian Nessel 2024, Verbraucherpolitik als Sozialpolitik?, in: sozialpolitikblog, 25.01.2024, https://difis.org/blog/?blog=98

Zurück zur Übersicht

Weitere Beiträge zum Thema

Person mit roter Einkaufstasche, von hinten fotografiert, Schatten von Laternen und der Person auf Betonboden sichtbar
Irene Becker, 24.04.2024
Bürgergeld: Hohe Kaufkraftverluste durch Inflation
Die Höhe der Regelbedarfe ist immer wieder Anlass für politischen Streit. Angesichts sinkender Inflation wird diskutiert, ob die letzte Anhebung der Regelbedarfe angemessen war. Eine aktuelle Berechnung gibt nun einen Überblick über die Entwicklung der Regelbedarfsfortschreibungen und die Preisentwicklung der letzten Jahre im Vergleich – und kommt zu eindeutigen Ergebnissen.
weiterlesen
Person auf grauem Asphalt gehend. Ringsherum mehrere menschliche Schatten, zu denen aber keine Personen sichtbar sind.
Anna Wanka, Moritz Heß, 18.04.2024
Pflegende Studierende: Versteckte Leben
Mehr als zehn Prozent aller Studierenden pflegen Angehörige. Für sie ist das häufig eine Belastung – doch das Umfeld bekommt meist wenig davon mit. Woran das liegt und wie sich es ändern lässt, damit befasst sich ein neues Forschungsprojekt.
weiterlesen
Schild auf einer Demo mit der Aufschrift "Nie wieder ist jetzt"
sozialpolitikblog-Gespräch. 11.04.2024
Soziale Desintegration: Nährboden für Rechtsextremismus
Die Enthüllungen von Correctiv verdeutlichten die tiefsitzenden Wurzeln rechter Ideologien in der deutschen Gesellschaft. Doch während die Gegendemonstrationen ein Zeichen der Hoffnung setzen, bleibt die Frage nach den sozialpolitischen Ursachen für rechtsextreme Einstellungen zentral. Über die komplexen Zusammenhänge zwischen Anerkennungsverlust, Arbeitswelt und dem Aufstieg des Rechtsextremismus spricht Bettina Kohlrausch, Direktorin des WSI, im Interview.
weiterlesen
Metallenes  Vorhängeschloss an einer Kette zum Verschluss einer mintgrünen Holztür
Christoph Gille, Anne van Rießen, 21.03.2024
Zugang verweigert
Die Krise am Wohnungsmarkt trifft diejenigen am meisten, die von ihr am stärksten betroffen sind: Wohnungslose Menschen. Welche Diskriminierungen sie bei der Suche nach einer Wohnung erleben, zeigt eine neue Studie.
weiterlesen
Bunte Spiel-Bauklötze in den Farben rot, orange, grün, rosa, hellblau und gelb. Darauf stehen jeweils Zahlen.
Julia Jirmann, 29.02.2024
Das Ringen um Kinderfreibetrag und Kindergeld
Finanzminister Christian Lindner plant noch in diesem Jahr, die Kinderfreibeträge zu erhöhen, ohne dabei das Kindergeld erneut anzupassen. Damit würden einseitig Eltern mit höheren Einkommen entlastet. Das steht jedoch Vereinbarungen des Koalitionsvertrags entgegen. Verfassungsrechtlich wäre auch eine andere Lösung möglich, die wird aber noch zu wenig diskutiert.
weiterlesen
Beine zweier Personen, eine erwachsen, eine im Kindesalter, mit Gummistiefeln bekleidet in einer Pfütze springend.
Christian Gräfe, 22.02.2024
Familienleben im Grundsicherungsbezug
Familien, die mit dem Existenzminimum leben, begegnen im Alltag vielen Zwängen und erleben kritische Lebensphasen. Eine qualitative Studie beleuchtet die Lebenswelten von Familien in der Mindestsicherung und deren Strategien, Armutslagen zu verarbeiten. Fachkräfte in Jobcentern beeinflussen die Lebenssituation von Familien und müssen sich auf die Lebensumstände der Familien einstellen.
weiterlesen
Ein Schrottplatz aus der Vogelperspektive
Ayodeji Stephen Akinnimi, 02.02.2024
Ohne Bleibeperspektive: Asylbewerber*innen aus Nigeria und Ghana suchen ihren Weg auf dem deutschen Arbeitsmarkt
Der Zugang von Migrant*innen zum Arbeitsmarkt wird durch ihren rechtlichen Status bestimmt. Wer keine Bleibeperspektive hat, ist auf den informellen Arbeitsmarkt angewiesen. Ohne soziale Absicherung, aber als Teil der globalen Erwerbsbevölkerung. Ethnographische Feldforschung verdeutlicht, dass es an der Zeit ist, diese Realität anzuerkennen.
weiterlesen
Buchcover von "Sozialrecht nach 1945" von Eberhard Eichenhofer
Tim Deeken, Jannis Hergesell, 18.01.2024
Wider die These vom Niedergang des Sozialstaats
Mit „Deutsches Sozialrecht nach 1945“ legt Eberhard Eichenhofer einen Rückblick auf die Geschichte des deutschen Sozialrechts vor, die interdisziplinär anschlussfähig ist. Zudem er wirft einen Blick nach vorn: Wie bleibt der Sozialstaat angesichts der Notwendigkeit einer Transformation reformfähig? Jannis Hergesell und Tim Deeken vom Forschungsnetzwerk Alterssicherung (FNA) haben das Buch gelesen und rezensiert.
weiterlesen
Buchcover des Buches "Soziales Klima. Der Konflikt um die Nachhaltigkeit des Sozialen" von Michael Opielka. Schwarze Schrift auf weißem Hintergrund.
Frank Nullmeier, 19.12.2023
Sozialpolitik für die ökologische Frage
Mit „Soziales Klima. Der Konflikt um die Nachhaltigkeit des Sozialen“ legt Michael Opielka, Leiter des Instituts für Sozialökologie, ein persönliches Buch vor – und ein Plädoyer für einen universalen Sozialstaat, der auch das Ökologische einschließt. Frank Nullmeier hat es gelesen und rezensiert.
weiterlesen
Foto aneinander gelegter Gürtel deren Schnallen nach unten zeigen; die Gürtel haben verschiedene Farben.
sozialpolitikblog-Gespräch 14.12.2023
„Wir müssen das gesellschaftliche Existenzminimum verteidigen“
Die geplante Erhöhung des Bürgergelds für 2024 kommt, darauf haben sich die Spitzen der Koalition geeinigt. Doch der Regelsatz liegt schon heute unter der existenzsichernden Grenze, sagt Prof. Anne Lenze von der Hochschule Darmstadt. Das habe nicht nur für Bürgergeldbezieher*innen Folgen, sondern für alle.
weiterlesen
Strickzeug aus bunter Wolle als Sinnbild für die Verwobenheit sozialer Kategorien aus intersektionaler Perspektive.
Katrin Menke, 30.11.2023
Intersektionale Sozialpolitik? Eine überfällige Perspektiverweiterung
Der Sozialstaat fängt soziale Ungleichheiten nicht nur ab, sondern bringt auch selbst welche hervor. Während feministische Perspektiven auf genderbezogene Ungleichheiten längst Teil sozialpolitischer Debatten und Analysen sind, steht ein intersektionaler Blick auf Sozialpolitik in Deutschland noch am Anfang. Ein Plädoyer für mehr Komplexität und Diversität.
weiterlesen
Eine Person hält ein Schild auf einer Demonstration mit der Aufschrift: "Protect safe legal abortion", zu Deutsch "Schützt sicheren und legalen Schwangerschaftsabbruch"
Hannah Zagel, 26.10.2023
(Keine) Kinder kriegen: Wie Staaten Reproduktion regulieren
Familienplanung wird häufig als Privatsache angesehen. Doch Prozesse um das Planen oder Vermeiden, Durchleben oder Beenden von Zeugung und Schwangerschaft werden staatlich gesteuert und sind politisch umkämpft. Dr. Hannah Zagel vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung über Reproduktion als Politikfeld und eine neue, internationale Datenbank.
weiterlesen
Ein Weidenkorb mit roten und grünen Äpfeln und gelben Birnen.
Traute Meyer, 27.07.2023
Warum Ländervergleiche für Sozialpolitik wichtig sind
Sozialpolitik ist angesichts von Krisenlagen zu schnellen Reaktionen gezwungen. Hilft in solcher Situation der Vergleich mit anderen Ländern? Ja, findet Prof. Traute Meyer von der University of Southampton. Denn davon können sozialpolitische Praktiker*innen und Forschende lernen – auch über ihr Verhältnis zueinander.
weiterlesen
Auf einem Marktplatz trinkt ein kleiner braun und weiß gescheckter Hund aus einem Hydranten Wasser.
Dorothea Baltruks, 29.06.2023
Lauterbachs Hitzeschutzplan: Sozialpolitik darf nicht fehlen!
Auf den Plan aus dem Bundesgesundheitsministerium haben manche gewartet wie auf den Regen nach langer Trockenzeit. Ein nationaler Hitzeaktionsplan ist sinnvoll, schreibt Dorothea Baltruks vom Center for Planetary Health Policy (CPHP). Dieser sollte Gesundheitsfachleute, Länder und Kommunen unterstützen sowie Strategien der Prävention und Klimaanpassung sinnvoll ergänzen.
weiterlesen
Auf hellblauem Hintergrund liegen vier Würfeln mit den Zahlen von eins bis vier farblich beschriftet. Eine hand hält mit zwei Fingern den ersten Würfel mit der Eins fest.
Hans-Peter Klös, Gerhard Naegele, 11.05.2023
Prioritätensetzung in der Sozialpolitik – eine vernachlässigte Debatte
Die Finanzierung der Sozialpolitik in Deutschland stößt schon jetzt an ihre Grenzen und wird demografisch bedingt noch voraussetzungsvoller. Daher ist eine normativ breit akzeptierte und empirisch gestützte Debatte über Prioritätensetzungen überfällig.
weiterlesen
Ein älterer Arbeiter mit Schutzkleidung und gelbem Schutzhelm arbeitet an einer Metallschneidemaschine in einer Halle.
Oliver Stettes, 13.04.2023
Wegfall der Hinzuverdienst­grenzen
Wer das gesetzliche Renten­eintritts­alter erreicht, kann seit dem 1. Januar 2023 ein Erwerbs­einkommen in unbegrenzter Höhe beziehen. Welchen Beitrag kann der Wegfall der Hinzuverdienst­grenzen auch bei frühzeitigem Renten­bezug zur Fachkräfte­sicherung leisten? Dieser zentralen Frage geht der Blogbeitrag nach.
weiterlesen
Drei europäische Flaggen (blauer Hintergrund mit einem gelben Sternenkreis) wehen vor einem hohen Glasgebäude.
sozialpolitikblog-Gespräch 09.03.2023
Welche Zukunft für die Sozialpolitik der EU?
Die Krisen der heutigen Zeit verlangen Kommunikation zwischen Wissenschaft und Praxis. Hans-Peter Klös ist ehemaliger Geschäftsführer und Leiter Wissenschaft am Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) und widmete sich immer wieder Aufgaben der Wissenschafts­kommunikation und Politikberatung. Im sozialpolitikblog-Gespräch äußert er sich zu seiner Arbeit in verschiedenen Gremien und Kommissionen, der Notwendigkeit und den Herausforderungen der Wissenschafts­kommunikation, sowie zu dem Bericht der "High-Level-Group" des Expertengremiums der Europäischen Kommission mit dem Titel "The Future of Social Protection and of the Welfare State in the EU".
weiterlesen
Eine Frau hat ihren Kopf auf einer Hand aufgestützt und sitzt vor einem Laptop. Sie hat ein Formular oder eine Rechnung in der anderen Hand und schaut darauf.
Ralph Henger, 02.02.2023
Mehr Bürokratie durch Kurzbescheide
Mit dem Wohngeld-Plus-Gesetz, welches zum 01.01.2023 eingeführt wurde, bekommen einkommensschwache Haushalte spürbar mehr staatliche Unterstützung. Die jetzige Reform stellt die mit Abstand größte und zugleich am schnellsten umgesetzte Wohngeldreform dar, bedeutet aber auch einen erhebliche Belastungen für die Wohngeldstellen.
weiterlesen
Eine Grafik aus einer alten Zeitschrift über die deutsche Sozialversicherung. Ein Baum bildet einen Finanzüberblick. Links und rechts sind Abbildungen zur Krankenversicherung, Invaliden-Fürsorge, Altersversicherung und Hinterbliebenen-Fürsorge.
Wilfried Rudloff, 19.01.2023
Historische Forschungen zum deutschen Sozialstaat
Neben zweier Groß- und Langzeitprojekte zur historischen Sozialpolitikforschung in Deutschland sind weitere diesbezügliche Forschungsprojekte von Gewicht ebenfalls abgeschlossen. Der Beitrag bietet eine Zwischenbilanz und einen Ausblick auf mögliche Wege einer künftigen historischen Sozialpolitikforschung. Zusätzlich wird diskutiert, wie sich die historische Sozialstaatsforschung künftig strategisch positionieren sollte.
weiterlesen
Ein Pfleger mit Kittel, Haarhaube und Maske sitzt in einem dunklen Raum und schaut nach unten. Licht scheint auf ihn.
Heinz Rothgang, Thomas Kalwitzki, 15.12.2022
Mehr Reformbedarf als zuvor? – Pflegepolitische Zwischenbilanz der Ampel-Koalition
Im November 2021 wurde der Koalitionsvertrag der Ampel veröffentlicht, der Veränderungen in der Pflege ankündigte. Wie es ein Jahr später wirklich aussieht, wird in diesem Beitrag diskutiert.
weiterlesen
Ein großes rotes A. Rechts daneben steht in schwarzer Schrift: "Arbeitnehmerkammer Bremen".
Julia Gantenberg, Andreas Klee, Hendrik Schröder, 24.11.2022
100 Jahre Arbeitnehmerkammer Bremen
Arbeitnehmerkammern sind eine sozialpolitische Rarität. Es gibt sie nur in Luxemburg und Österreich sowie in den deutschen Bundesländern Saarland und Bremen. Vor 100 Jahren konnten in Bremen Arbeitnehmerkammern ihre Arbeit aufnehmen.
weiterlesen
Über einer gebeugten Hand links auf dem Bild schwebt eine Ein-Euro-Münze, über einer gebeugten Hand rechts auf dem Bild schweben drei 500-Euro-Scheine.
Christopher Smith Ochoa, 20.10.2022
Zwischen Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik: Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung
Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (ARB) ist das Ergebnis eines wiederkehrenden Ringens zwischen Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik um die Deutungshoheit in Verteilungsfragen. Der Blogbeitrag beleuchtet die Entstehungsgeschichte des ARB, seine Erstellung und sein konkretes Wirken im Bereich der Sozialpolitik-forschung.
weiterlesen
Ein aufgeklappter Stimmzettelbrief, auf dem ein blauer Stimmzettelumschlag für die Briefwahl liegt.
FF6_Paul Marx, 30.06.2022
Politische Ungleichheit als Problem politischer Sozialisation
In Deutschland wird viel über „politische Ungleichheit“ diskutiert. Hinter dem Begriff verbergen sich mindestens zwei Phänomene: Erstens beteiligen sich Menschen mit verschiedenen Bildungs- und Einkommensniveaus in ungleichem Maß an Politik. Zweitens finden sich die Präferenzen von ärmeren Menschen weniger in Gesetzesänderungen wieder - nicht zuletzt im Bereich der Sozialpolitik.
weiterlesen
Ein Zehn-Euro-Schein und ein Zwanzig-Euro-Schein liegen zweknittert auf dem Asphalt.
Robert Misik, 16.06.2022
Österreichischer Paketdienst
Nach einem Autofahrerpaket und 150-Euro-Gutscheinen für Haushalte schnürt Österreichs Politik ein weiteres Maßnahmenpaket gegen die Teuerung. Für viele Menschen hat sich das Leben im vergangenen Jahr um 14 Prozent verteuert.
weiterlesen
Sieben uralte und verstaubte Bücher lehnen auf einem Regalbrett.
Cornelius Torp, 02.06.2022
Does History Matter? Zur Rolle der Geschichtswissenschaft in der Sozialpolitikforschung
Wenn man als Historiker – üblicherweise als einziger Vertreter seines Faches – als Referent auf sozialpolitischen Fachtagungen auftritt, hat das zuweilen den Charakter einer „Vorgruppe“ bei einem Rockkonzert, die zuständig dafür ist, den Saal auf „Temperatur“ zu bringen. Für die nachfolgenden Redner und Rednerinnen jedenfalls spielt die historische Dimension zumeist keine Rolle, sie richten ihr Augenmerk auf gegenwärtige sozialpolitische Probleme und beziehen sich in ihren Analysen auf möglichst aktuelle empirische Daten.
weiterlesen