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Menschen stehen in einer Warteschlange
Hannes Schammann, Sybille Münch, Thorsten Schlee, 02.11.2023

Funktionierende Ausländerbehörden für die Einwanderungsgesellschaft

Die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer*innen hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Doch nicht allein die steigenden Einwanderungszahlen fordern die Ausländerbehörden zunehmend. Warum die Behörden überlastet sind und wie sich das ändern lässt, analysieren die Autor*innen einer neuen Studie.


In den letzten Monaten ist viel über Ausländerbehörden berichtet worden. Zumeist ging es um „katastrophale Zustände“, um „Grenzen der Belastung“, um fehlende Kontaktmöglichkeiten und um lange Wartezeiten für Migrant*innen. Wenn Ausländerbehörden Entscheidungen nicht oder verzögert treffen oder Leistungen nicht oder verspätet erfolgen, trifft das Migrant*innen hart. Fehlt ein Aufenthaltspapier, verschließt das den Zugang zu Arbeit, Bildung und sozialen Leistungen. Abseits der anekdotischen Evidenz medialer Berichterstattung existieren nur wenige wissenschaftliche Beiträge zur Situation in den Ausländerbehörden. In einer im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung durchgeführten Studie haben wir auf Basis einer Onlineerhebung und Interviews Probleme und Lösungsansätze für diese zentrale Organisation der modernen Einwanderungsgesellschaft identifiziert. 

Was machen Ausländerbehörden?

Ausländerbehörden erledigen aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen nach dem Aufenthaltsgesetz und nach aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen (§ 71 Abs. 1 AufenthG). Das heißt sie stellen die Aufenthaltspapiere für Drittstaatangehörige aus, verlängern sie und prüfen – immer wieder aufs Neue –, ob Personen sich (noch) zu Recht in Deutschland aufhalten. Je nach Bundesland organisieren viele dieser Behörden auch Abschiebungen. Sie haben es aber auch mit Studierenden, ausländischen Fachkräften, Arbeitnehmer*innen aus den sechs Westbalkanstaaten zu tun. Nicht zuletzt bearbeiten sie die Anträge auf Einbürgerung. Neben dem Aufenthaltsgesetz richten sie sich bei Arbeitsmarktzulassungen auch nach der Beschäftigungsverordnung und bei Einbürgerungsfragen nach dem kürzlich reformierten Staatsangehörigkeitsgesetz.

Zwar setzen die Ausländerbehörden Bundesrecht um, ihre genauen Zuständigkeiten aber sind durch Landesgesetze geregelt. In den Ländern existieren verschiedene Organisationsmodelle, in denen unterschiedliche Personenkategorien (Asylsuchende oder Fachkräfte) in unterschiedlich zentralisiert oder dezentral organisierte Zuständigkeiten fallen können. Die meisten Ausländerbehörden sind Teil der kommunalen Verwaltung. Die Kommunen regeln in Selbstverwaltung die Personalstruktur und die Art und Weise, wie die Behörde Aufgaben erledigt.

Warum sind Ausländerbehörden überlastet?

Um technische, infrastrukturelle oder monetäre Ressourcen für eine Organisation zu einzufordern, ist es schon zur Normalität geworden, über anhaltende Überlastung zu klagen. Hier stehen die Ausländerbehörden zahlreichen anderen Organisationen in nichts nach. Zuletzt wurde jedoch augenfällig, dass Ausländerbehörden tatsächlich nur eingeschränkt funktionieren. So geben auch die Befragten in den Ausländerbehörden fast einhellig an, dass die Arbeitsbelastung in den letzten Jahren stark gestiegen ist (Schlee/Schamann/Münch 2023, S. 12). Das hat politische, personelle, und verfahrenstechnische Ursachen.

Fallzahlen

Der Wandel der Bundesrepublik zu einem der bedeutendsten Einwanderungsländer ist noch immer in vollem Gange. Das lässt sich an basalen Kennzahlen ablesen. Mit 13,3 Millionen Personen hat sich die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer*innen in den letzten zehn Jahren annähernd verdoppelt, geht aus Daten den statistischen Bundesamts hervor (Tab. 12521-01). Im selben Zeitraum ist die Zahl der in Deutschland beschäftigten Ausländer*innen auf 5,6 Millionen Personen auf mehr als das Zweifache gewachsen, berichtet die Bundesagentur für Arbeit. Alle Drittstaatangehörigen fallen unter bestimmte Kategorien im Aufenthaltsrecht, dürfen sich aus humanitären Gründen, aus Gründen des Familiennachzuges, zum Zweck der Erwerbstätigkeit oder der Bildung in Deutschland aufhalten. Bürger*innen der EU dagegen fallen nicht unter das Aufenthaltsrecht, zuweilen aber wird auch bei ihnen geprüft, ob sie sich legal im Rahmen der Freizügigkeit in der Bundesrepublik aufhalten, was bedeutend für den Zugang zu sozialen Leistungen sein kann. Die Ausländerbehörde hat es je nach Fallarten mit unterschiedlichem Arbeitsaufwand zu tun. Deshalb ist die gewachsene Fallzahl nicht unmittelbar in wachsende Arbeitsbelastung zu übersetzen, aber doch ein wichtiger Indikator, um den Leistungsumfang wie auch das Leistungsspektrum der Behörde einzuschätzen.

Höhere Selektivität und wachsende Prüfpflichten

Die politischen Ambitionen, Migration und Arbeitsaufnahme in der Bundesrepublik zu ermöglichen einerseits, anderseits aber ungewollte Migration zu unterbinden, führen zu immer neuen Kategorien, Abstufungen und Ausnahmen im Aufenthaltsrecht. Die unterschiedlich eingeteilten Gruppen von Ausländer*innen haben unterschiedliche Zugänge zu sozialen und politischen Rechten. Mit der Vervielfältigung von legalen Aufenthaltszwecken vervielfältigen sich auch die Prüfpflichten in den Behörden. Sie müssen unter anderem Integrationsleistungen, Einkommen, Familiensituation prüfen und zuweilen auch Prognosen zu künftigen Beschäftigungschancen erstellen. Ziel des Aufenthaltsgesetzes war es, Migration zu steuern und zu begrenzen. Nun wurde mit seiner letzten Novellierung die „Begrenzung“ gestrichen. Die politischen Steuerungsambitionen und Differenzierungen jedenfalls erweisen sich als schwer verwaltbar. 76 Prozent der Befragten in unserer Studie geben an, dass die Geschwindigkeit der Gesetzgebung zu hoch ist. Fast schon rituell bemängeln auch die Vertreter*innen der kommunalen Gebietskörperschaften bei jeder neuen Gesetzgebung, doch bitte auch an die Umsetzungspraxis zu denken und die lokalen Expert*innen enger in die Gesetzgebung einzubinden (z. B. Deutscher Landkreistag 2023). Fast schon rituell will jede Regierung ihre eigene migrationspolitische Markierung hinterlassen, was in der Vergangenheit in der Regel hieß, dass neue Einreisemöglichkeiten, Ausnahmen und aktuell vor allem neue „Verschärfungen“ in das Gesetzeswerk eingefügt werden.

Ambivalente Politikziele 

Die sozialpolitische Bedeutung der Ausländerbehörden erschließt sich vor allem im Zusammenhang mit den Diskursen zum demografischen Wandel. Die Bundesrepublik benötigt jedes Jahr eine Nettozuwanderung von 400.000 Personen (Fuch et al. 2021), heißt es. Da die Bundesregierung davon ausgeht, dass die Zuwanderungspotentiale aus der europäischen Union weitgehend ausgeschöpft sind, arbeitet sie nun vermehrt an der Erleichterung der Einreisebedingungen von Drittstaatsangehörigen (BMAS 2022). Daneben bemüht sich der Gesetzgeber auch abgelehnten Asylsuchenden unter bestimmten Bedingungen sich einen Aufenthalt in der Bundesrepublik über Erfolge in Bildung und Beruf zu erarbeiten. Es sollen also die ökomischen Potentiale von Personen ausgeschöpft werden; andererseits aber wird in aufgeladenen Migrationsdebatten darüber geredet, Abschiebungen zu beschleunigen und zu erleichtern, was bedeutet rechtsstaatliche Verfahrensgarantien zu verändern oder einzuschränken. So entsteht ein zweideutiges Aufenthaltsrecht, das auch praktische Herausforderungen mit sich bringt: widersprüchlichen Zielstellungen müssen vor Ort sowohl rechtssicher als auch nachvollziehbar bearbeitbar gemacht werden und den vielen Einzelfällen gerecht werden.

Behörden, die den demografischen Wandel bearbeiten, stecken selbst im demografischen Wandel

Das Personal der Ausländerbehörde scheint bislang wenig gerüstet, mit den hohen Fallzahlen wie auch mit den ambivalenten Politikzielen und der daraus folgenden rechtlichen Komplexität umzugehen: Das betrifft die Personalbemessung, die Einstufung des Personals, die Ausbildungswege in den Öffentlichen Dienst und die Möglichkeiten der Fortbildung. Die Fluchtmigration nach 2014, die Corona-Pandemie und nun die Flucht von circa einer Million Menschen aus der Ukraine rahmen die Erzählungen anhaltender Überlastung und Arbeit im Krisenmodus der öffentlichen Verwaltungen. Sozialämter- und Jugendämter sind mit ähnlichen Problemen wie Ausländerbehörden konfrontiert und eine bloße Personalaufstockung dürfte schon schwierig werden, weil die Behörden, die den demografischen Wandel bearbeiten, selbst im demografischen Wandel stecken.

Wenn guter Rat teuer ist, verschieben sich die Hoffnungen der Lösung politischer und sozialer Probleme in die Technik. Digitalisierung ist Zauberwort der Verwaltungsentlastung. Die Entlastungshoffnungen durch weitere Digitalisierungsschritte werden aber von den befragten Ausländerbehörden in unserer Studie nicht vollumfänglich geteilt (Schlee/Schammann/Münch 2023, S. 37). Nehmen wir als Beispiel die e-Akte: Ihre Einführung erfordert das Einscannen der Bestandsakten, eine bereits für sich sehr zeitintensive Tätigkeit. Mit dem entstehenden elektronischen Dokument kann man nur arbeiten, wenn in der e-Akte entsprechende Verschlagwortungen und Suchbegriffe eingeführt sind und wenn ein Rechner existiert, der in der Lage ist, in sehr großen Dateien zu navigieren. Beides muss nicht der Fall sein. Digitalisierungsgewinne erfordern jedenfalls umfangreiche technische Infrastrukturen, die noch nicht überall vorhanden sind. Eine in den Kinderschuhen steckende Digitalisierung von Leistungen und Prozessen sorgt so momentan eher noch für zusätzliche Arbeitsbelastung und die erwarteten Digitalisierungsgewinne müssen in die Zukunft verschoben werden.

Was tun, damit Ausländerbehörden ihre Aufgabe besser bewältigen können?

Vielschichtige Probleme erfordern vielschichtige und vor allem geduldige Lösungen. In unserer Studie haben wir verschiedene Handlungsfelder identifiziert, die sowohl den Bund, die Länder wie auch die Kommunen adressieren und mit denen kurz- wie auch mittelfristige Situationsverbesserungen möglich scheinen. Hier greifen wir einige Punkte heraus, die zur weiteren Diskussion anregen wollen.

Zunächst muss der Gesetzgeber bei allen eigenlogisch-politischen Handlungserfordernissen seine Ohren näher an seiner Verwaltung haben, damit sie besser funktioniert. Gerade in den politisierten Debatten um Migration gilt es genau zu prüfen, wie Gesetzgebung und ihre Umsetzung auf die selbstgesetzten politischen Ziele wie auch auf das Publikum der Verwaltung wirken. Dazu braucht es nicht weitere „Beschleunigungen“, sondern eher eine Entschleunigung des migrationspolitischen Aktivismus.

Länder und Kommunen müssen eng zusammenarbeiten, um passende, lokale Organisationslösungen für ihre Ausländerbehörden zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung sowie zwischen Gleichbehandlung und Spezialisierung von Aufgaben zu entwickeln. Das gilt vor allem auch für die Entwicklung des Personals in den Ausländerbehörden, das strukturiert an seine schwierige Aufgabe heranzuführen ist.

Die Umsetzung der aufenthaltsrechtlichen Aufgaben überfordert nicht nur die Behörden. Genauso haben Migrant*innen große Probleme, die ihnen auferlegten Nachweispflichten zu erfüllen und sind oftmals auf die Unterstützung von Freund*innen, Arbeitgeber*innen, Migrationsberatungen oder anderen Vertreter*innen angewiesen. Erste Ansätze des Abbaus von Prüfpflichten sind konsequent weiter zu verfolgen. So wurden in der Folge des letzten sogenannten „Flüchtlingsgipfels“ Änderungen im Visa-Verfahren vom Auswärtigen Amt bereits umgesetzt. Die Gültigkeitsdauer des D-Visums wurde verlängert und die Prüfung durch die Ausländerbehörden entfällt in vielen Fällen. Solche Maßnahmen entlasten Migrant*innen und Behörden.

Schließlich sind Ausländerbehörden, so wie alle Verwaltungen, dazu verpflichtet, ihre Entscheidungen transparent und nachvollziehbar zu machen. Das kostet Zeit und Mühe, die etwa in weitere Überlegungen investiert werden müssen, wie Behörden mit Vielsprachigkeit umgehen. Nur durch transparente Verfahren kann staatliches Eingriffshandeln sich von einem willkürlichen Staatsaktivismus unterscheiden.

Will Deutschland ein modernes Einwanderungsland sein, kann es sich es nicht leisten, Migrant*innen in Warteschlangen und ziellosen Telefonschleifen die kalte Schulter zu zeigen noch den Eindruck vermitteln, Migrant*innen wie eine Verschiebemasse zur ökomischen Nutzensteigerung zu behandeln. Ausländerbehörden sind Visitenkarte eines demokratischen und sozialen Rechtsstaates, der seinen „Markenkern“ aufgibt, wenn er Transparenz und Gleichbehandlung hintenanstellt.

 

Literatur

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (2022). Fachkräftestrategie der Bundesregierung. Herausforderungen und Chancen für die Fachkräftesicherung und den Arbeitsmarkt in Deutschland. Online verfügbar unter https://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/Broschueren/fachkraeftestrategie-derbundesregierung.html, zuletzt geprüft am 10.09.2023.

Deutscher Landkreistag (2023). Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes und einer Verordnung zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung. Berlin. Online verfügbar unter https://www.bmi.bund.de/ SharedDocs/gesetzgebungsverfahren/DE/Downloads/stellungnahmen/MI3/Stellungnahme_Deutscher_ Landkreistag.pdf?__blob=publicationFile&v=2, zuletzt geprüft am 10.09.2023.

Fuch, Johann; Söhnlein, Doris; Weber, Brigitte (2021). Demographische Entwicklung lässt das Arbeitskräfteangebot stark schrumpfen. Hg. v. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB-Kurzbericht, 25). Online verfügbar unter https://doku.iab.de/kurzber/2021/kb2021-25.pdf, zuletzt geprüft am 10.09.2023.

Schlee, Thorsten; Schammann, Hannes; Münch Sybille (2023). An den Grenzen? Ausländerbehörden zwischen Anspruch und Alltag. Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung.


Hannes Schammann, Sybille Münch und Thorsten Schlee 2023, Funktionierende Ausländerbehörden für die Einwanderungsgesellschaft, in: sozialpolitikblog, 02.11.2023, https://difis.org/blog/?blog=84

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