Ohne Bleibeperspektive: Asylbewerber*innen aus Nigeria und Ghana suchen ihren Weg auf dem deutschen Arbeitsmarkt
Der Zugang von Migrant*innen zum Arbeitsmarkt wird durch ihren rechtlichen Status bestimmt. Wer keine Bleibeperspektive hat, ist auf den informellen Arbeitsmarkt angewiesen. Ohne soziale Absicherung, aber als Teil der globalen Erwerbsbevölkerung. Ethnographische Feldforschung verdeutlicht, dass es an der Zeit ist, diese Realität anzuerkennen.
Im Jahr 2015 hat die Bundesregierung die bis dato bestehenden Beschränkungen für den Zugang von Asylbewerber*innen zum deutschen Arbeitsmarkt gelockert, indem sie die Wartefrist von 15 auf drei Monate verkürzt und die Integrationsförderung verbessert hat. Arbeitsmarktforscher*innen erwarten, dass insbesondere Zeitarbeit ein Sprungbrett in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis für Geflüchtete sein wird, da sie dort die deutsche Sprache lernen und sich besser in ihr Arbeitsumfeld integrieren.
Doch welche Arbeitsplätze finden Asylbewerber*innen tatsächlich? Repräsentative Erhebungen und amtliche Statistiken zur Beschäftigungssituation von Geflüchteten sind in der Regel unvollständig. In der deutschen Arbeitsmarktstatistik werden Asylbewerber*innen und Geflüchtete – als Untergruppe der über die Staatsangehörigkeit definierten Migrant*innen – nicht als eigene Gruppe ausgewiesen. Der Kenntnisstand beruht daher auf Befragungen. Vorliegende Forschungsbefunde zeigen, dass Migrant*innen aus von Krieg und Wirtschaftskrisen betroffenen Ländern eher in Sektoren mit geringeren Qualifikationsanforderungen beschäftigt sind (Brücker et al., 2015, S. 9-10). Andere Studien weisen darauf hin, dass Asylbewerber*innen und Geflüchtete häufig im informellen Sektor oder in nicht angemeldeten Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind (Martín et al., 2016).
Nach der Definition des Europäischen Statistikamtes umfasst die Schattenwirtschaft informelle Beschäftigungsverhältnisse ohne sichere Arbeitsverträge, Arbeitgeberleistungen oder Sozialversicherungsschutz sowohl innerhalb als auch außerhalb informeller Unternehmen (Eurostat 2019). Erstere umfasst Arbeitgeber*innen, Arbeitnehmer*innen, Selbständige und unbezahlt mithelfende Familienangehörige in informellen Unternehmen- Die zweite Gruppe sind Hausangestellte, Gelegenheits- oder Tagelöhner*innen, Zeit- oder Teilzeitbeschäftigte, gewerbliche Heimarbeiter*innen und nicht registrierte oder nicht angemeldete Arbeitnehmer*innen.
Der Frage nach der Rolle von Geflüchteten in der formellen und informellen Erwerbsbevölkerung und nach ihren Beschäftigungsmöglichkeiten bin ich mit Methoden der ethnographischen Forschung nachgegangen. Dabei habe ich beobachtet, welche Arten von Stellen Asylbewerber*innen aus Nigeria und Ghana angenommen haben, ob sie in diesen Jobs verlieben sind und, wenn ja, unter welchen Umständen. Das Ausmaß der informellen Beschäftigung von Geflüchteten in Deutschland lässt sich zwar nicht zuverlässig abschätzen, ist aber ein beobachtbares Phänomen, das Fragen nach der Bedeutung der Arbeit von Geflüchteten auf dem informellen Arbeitsmarkt aufwirft. Mit dem ethnographischen Ansatz habe ich die informelle Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt beobachtet, die durch statistische Quellen und Erhebungen nicht erfasst wird.
Einwanderungskontrollen kollidieren und interagieren mit arbeitsrechtlichen Bestimmungen
Der Zugang zu sozialen Rechten und zur Teilhabe am Arbeitsmarkt hängt vom jeweiligen Rechtsstatus der Asylbewerber*innen ab, ob sie zum Beispiel als Flüchtlinge anerkannt sind, einen subsidiären Schutzstatus haben oder als Asylbewerber*innen oder Geduldete registriert sind. In Deutschland unterliegen Asylbewerber*innen und Geflüchtete, die über die Resettlement-Programme des Bundes oder die humanitären Aufnahmeprogramme der Länder eingereist sind, keinen Beschränkungen auf dem Arbeitsmarkt. Ihnen wird auch der Zugang zu Integrationsworkshops und Qualifizierungsmaßnahmen der Jobcenter angeboten.
Andererseits werden Asylbewerber*innen, deren Anträge abgelehnt oder zurückgezogen werden, aus dem formalen Beschäftigungssystem ausgeschlossen und zur freiwilligen oder zwangsweisen Ausreise aus Deutschland verpflichtet. Bei letzterem handelt es sich um Abschiebung. Infolgedessen sind einzelne Asylbewerber*innen, die sich für den Verbleib in Deutschland entscheiden, gezwungen, ihren Aufenthaltsort zu verheimlichen und können nur einer unregulierten Beschäftigung nachgehen.
In mehreren Studien wird auf die große Vielfalt „flexibler Arbeitsmarktpraktiken“ hingewiesen, die unter den Begriff informelle Beschäftigung fallen, einschließlich der Vergabe von Unteraufträgen, Schwarzarbeit und der Ausbreitung von befristeten-, Saison- und Teilzeitarbeitsregimen (King und Zontini, 2000, S. 41). In meiner Studie habe ich versucht zu klären, welche konkreten Möglichkeiten diesen Asylbewerber*innen auf dem informellen Arbeitsmarkt in Deutschland verbleiben.
Welche Arbeitsplätze gibt es für Asylbewerber*innen „ohne Bleibeperspektive“?
Ich führte ethnografische Studien an drei Hauptstandorten in Westdeutschland auf Tagelöhnermärkten und Schrottplätzen (informell) und bei einem von einer Zeitarbeitsfirma vermittelten Arbeitsplatz (formell) durch.
Auf dem Tagelöhnermarkt werden Asylbewerber*innen zum Beladen von Exportcontainern nach Westafrika angeworben. Sie finden diese Jobs oft über soziale Kontakte, zum Beispiel Bekannte aus demselben Herkunftsland, die selbst ehemalige Asylbewerber*innen sind oder aus der gleichen Asylkohorte stammen. Bei der Arbeit auf dem Schrottplatz geht es um die Demontage von Autos und Autoteilen. Die Leiharbeitsfirma wiederum vermittelt vor allem Stellen in einem Logistikunternehmen.
Die beobachteten Containerexport- und Schrottplatzunternehmen werden überwiegend von Personen mit Migrations- oder Fluchthintergrund betrieben. Dies könnte erklären, warum sie bereit sind, nigerianischen und ghanaischen Asylbewerber*innen, deren Asylantrag abgelehnt und deren Arbeitserlaubnis widerrufen wurde, eine Beschäftigung anzubieten. Diese migrantische Unternehmer*innen rekrutieren informelle Arbeitskräfte auch über ihre eigenen sozialen Beziehungen zum Beispiel über Freund*innen aus dem gleichen Land oder andere migrantische Unternehmer*innen. In den meisten Fällen werden die Arbeitsplätze jedoch nur mündlich und ohne schriftlichen Vertrag vergeben.
Soziale Bindungen erweisen sich daher als wesentliche Ressource für Asylbewerber*innen ohne Bleibeperspektive und als Schlüssel zur Arbeitsplatzsuche im deutschen informellen Sektor. Diese sozialen Verbindungen dienen oft als schnelle und effiziente Ressource für die Suche nach Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem informellen Arbeitsmarkt. So kam es immer wieder vor, dass Asylbewerber*innen, die bereits informell als Tagelöhner*innen oder auf den Schrottplätzen tätig waren, in Absprache mit migrantischen Arbeitgeber*innen Arbeit an Neuankömmlinge oder an ihre Bekannten vermittelten.
Während der Feldforschung konnte ich auch feststellen, dass westafrikanische migrantische Unternehmer*innen nigerianischen Asylbewerber*innen gegenüber positiv eingestellt sind. Diese Unternehmer*innen rekrutieren nigerianische Asylbewerber*innen häufig für Arbeiten auf dem Tagelöhnermarkt und auf dem Schrottplatz, insbesondere im Vergleich zu anderen Bewerber*innen (zum Beispiel aus Ghana und Gambia). Einige meiner nigerianischen Interviewpartner*innen gaben sogar an, dass ein guter Ruf Teil ihrer Strategie sei, um soziale Kontakte zu knüpfen, die wiederum nützlich sind, um Arbeit auf dem lokalen informellen Arbeitsmarkt zu finden.
Da es zwischen den informellen Arbeitgeber*innen und den arbeitenden Asylbewerber*innen weder eine Vereinbarung über die Sozialversicherung noch über die Krankenversicherung gibt oder geben kann, sind die Arbeitnehmenden vor allem daran interessiert, trotz ihres negativen Asylbescheids nicht untätig zu sein. Für sie ist die informelle Beschäftigung die einzige Möglichkeit, sich berufliches Wissen und Fertigkeiten anzueignen, etwa wie man einen Gabelstapler fährt oder wie man seine Arbeitszeit organisiert. Dadurch können sie ihre Erwerbsbiographie zum Positiven wenden und hoffen, ihren Aufenthaltsstatus und Lebensumstände zu verbessern.
Die Asylbewerber und Unternehmer, die an dieser Untersuchung teilnahmen, waren männlich. Aber die Rolle ihrer (weiblichen) Partner war auch ein Thema in unseren Gesprächen. Vor allem, weil sie eine wichtige Rolle dabei spielten, die Situation ihres Partners in Bezug auf das Bleiberecht und die Unterstützung des Unternehmertums zu ändern.
Politische Maßnahmen zur Bekämpfung von Arbeitsplatzunsicherheit und Informalität
In Deutschland wirken Zuwanderungsgesetze, administrative Hürden und arbeitsrechtliche Bestimmungen so zusammen, dass Asylbewerber*innen vorübergehend oder längerfristig in informelle Beschäftigungsverhältnisse gedrängt werden können. Dieses Phänomen zeigt sich bei Nigerianer*innen und Ghanaer*innen, die nach einer Änderung ihres Asylstatus aus der formellen Beschäftigung (z.B. Leiharbeit) in die informelle Beschäftigung (Tagelöhner- und Schrottplatzarbeit) abdriften.
Asylbewerber*innen und Geflüchtete können jedoch nicht einfach als bloße „Arbeitseinheiten“ (Anderson, 2000; Kilkey und Merla, 2014) ohne Autonomie und soziale Bindungen betrachtet werden, die von sich aus entscheiden, ihre Arbeitskraft auf dem Markt zu verkaufen (Anderson, 2000). Die Realität von Asylbewerber*innen „ohne Bleibeperspektive“ als Teil des informellen Marktes erfordert einerseits die Anerkennung ihrer konkreten Bedürfnisse, Hemmnisse und Strategien trotz ihres informellen Beschäftigungsstatus und andererseits ihrer Rolle in dynamischen sozialen und wirtschaftlichen Prozessen (Castles und Miller, 2009).
Asylbewerber*innen sind Mitglieder der globalen Erwerbsbevölkerung wie alle anderen Arbeitnehmer*innen, die auch mit den Auswirkungen informeller, prekärer und flexibler Arbeit konfrontiert sind. Um ihren langfristigen Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern und ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern, bedarf es einer angemessenen sozialen Absicherung und maßgeschneiderter Maßnahmen zur beruflichen Integration. Zu diesen Maßnahmen gehören die Unterstützung von Arbeitgeber*innen bei der Ausbildung und Beschäftigung dieser Asylbewerber*innen und die Entwicklung von Wegen zu abgesicherten Arbeitsplätzen für diejenigen ohne die Einstufung „mit Bleibeperspektive“.
Eine längerfristige Perspektive ist für diese gering qualifizierten Asylbewerber*innen erforderlich, um durch eine Kombination von Sprach- und Qualifizierungsmaßnahmen Beschäftigungsfähigkeit zu erreichen. Dort, wo Arbeitsplätze zahlreich vorhanden sind, werden sich die Asylbewerber*innen leichter und schneller integrieren. Sowohl die befragten migrantischen Unternehmer*innen als auch die befragten Asylbewerber*innen gaben an, dass sie diese informelle Situation nicht absichtlich herbeigeführt haben. Sie organisieren selbst und ohne staatliche Hilfe informelle Schulungen und Unterstützung. Migrantische Unternehmer*innen haben ihre Schrottplätze und Exportgeschäfte ordnungsgemäß registriert und tragen zur lokalen Wirtschaftsentwicklung bei. Sie sind ihrerseits bereit, Asylbewerber*innen „ohne Bleibeperspektive“ formell zu beschäftigen und ihnen zu helfen, ihren Status in „mit Bleibeperspektive“ zu verwandeln, wenn der Staat und seine Vorschriften ihnen dies erlauben würde.
Dieser Text erscheint in englischer Sprache auch auf socialpolicyworldwide.org
Literatur
Anderson, B. (2000). Doing the dirty work? : The global politics of domestic labour. Zed Books; Distributed in the USA by St Martin’s Press London, New York; WorldCat.
Brücker, H., Hauptmann, A., & Vallizadeh, E. (2015). Flüchtlinge und andere Migranten am deutschen Arbeitsmarkt: Der Stand im September 2015 (Aktuelle Berichte 14/2015). Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). https://www.econstor.eu/handle/10419/161703
Castles, S., & Miller, M. J. (1993). The Age of Migration: International Population Movements in the Modern World. Palgrave Macmillan. https://books.google.de/books?id=4LnfngEACAAJ
Castles, S., & Miller, M. J. (2009). The Age of Migration: International Population Movements in the Modern World. Palgrave Macmillan. https://books.google.de/books?id=4LnfngEACAAJ
Eurostat (2019). Statistics explained: Building the system of national accounts- informal sector. https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Building_the_System_of_National_Accounts_-_informal_sector
Federal Ministry of Labor and Social Affairs. (2021). Refugees and Asylum seekers: Information on labor market access and social rights in Germany. https://www.bmas.de/EN/Europe-and-the-World/Europe/Migration-from-third-countries/refugees-and-asylum.html
Kilkey, M., & Merla, L. (2014). Situating transnational families’ care- giving arrangements: The role of institutional contexts. Global Networks, 14(2), 210–229. https://doi.org/10.1111/glob.12034
King, R. (2000). Southern Europe in the Changing Global Map of Migration. In R. King, G. Lazaridis, & C. Tsardanidis (Eds.), Eldorado or Fortress? Migration in Southern Europe(pp. 3–26). Palgrave Macmillan UK. https://doi.org/10.1057/9780333982525_1
Martín, I., Arcarons, A. F., Aumüller, J., Bevelander, P., Emilsson, H., Kalantaryan, S., Maciver, A., Mara, I., Scalettaris, G., Venturini, A., Vidovic, H., Welle, I. van der, Windisch, M., Wolffberg, R., & Zorlu, A. (2016). From refugees to workers: Mapping labour market integration support measures for asylum-seekers and refugees in EU member states. Volume I : Comparative analysis and policy findings. https://api.semanticscholar.org/CorpusID:54517596
Ayodeji Stephen Akinnimi 2024, Ohne Bleibeperspektive: Asylbewerber*innen aus Nigeria und Ghana suchen ihren Weg auf dem deutschen Arbeitsmarkt, in: sozialpolitikblog, 02.02.2024, https://difis.org/blog/?blog=99 Zurück zur Übersicht
Ayodeji Stephen Akinnimi absolvierte das Doktorandenprogramm der International Max Planck Research School on the Social and Political Constitution of the Economy (IMPRS-SPCE), Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln, und der Universität Duisburg-Essen, Fachbereich Soziologie. Sein Forschungsinteresse gilt der Wirtschaftssoziologie von Migrant*innen, insbesondere den Arbeitsmärkten und der Arbeit.