Gute Renten durch Kapitaldeckung?
Die Regierungskoalition hat sich mehrere rentenpolitische Projekte ins Aufgabenheft geschrieben. Einerseits soll das Leistungsniveau der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) dauerhaft stabilisiert, andererseits die kapitalgedeckte Vorsorge reformiert werden. Diese Vorhaben werden von Magnus Brosig und Florian Blank diskutiert.
Die Regierungskoalition hat sich mehrere rentenpolitische Projekte ins Aufgabenheft geschrieben. Einerseits soll das Leistungsniveau der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) dauerhaft stabilisiert, andererseits die kapitalgedeckte Vorsorge reformiert werden. Während für die private Vorsorge („Riester-Rente“) vor allem Prüfaufträge formuliert werden, sind in der betrieblichen Altersversorgung riskantere Anlagen mit höheren Renditen „gewollt“. Die stärkste Formulierung zur Kapitaldeckung betrifft aber die GRV: Hier „wird“ die Ampel laut Koalitionsvertrag „zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen.“ Der neue Fonds soll öffentlich-rechtlich verwaltet und in einem ersten Schritt mit 10 Mrd. Euro ausgestattet werden. Mittlerweile wurden detailliertere Vorschläge für das vom Finanzministerium so bezeichnete „Generationenkapital“ vorgelegt.
Finanzierung der Alterssicherung
Formal sind Umlage- und Kapitaldeckungsverfahren grundlegend unterschiedliche Wege der sozialpolitischen Finanzierung. Im Umlageverfahren werden die Einnahmen – in der deutschen Rentenversicherung vor allem aus Beiträgen – direkt für laufende Leistungen ausgegeben. Beitragszahler*innen erwerben Ansprüche auf Leistungen durch zukünftige Zahler*innen („Generationenvertrag“). Im Kapitaldeckungsverfahren werden dagegen die Einnahmen angelegt (etwa in Aktien oder Anleihen). Dieses Kapital und seine Erträge dienen der zukünftigen Versorgung der heutigen Zahler*innen. Mit der Entscheidung zwischen den Verfahren gehen unterschiedliche Verteilungswirkungen einher. Auch haben diese Finanzierungswege unterschiedliche volkswirtschaftliche Folgewirkungen. Allerdings gilt generell, dass die (kommenden) Ausgaben für die Alterssicherung immer aus der (kommenden) Wirtschaftsleistung bestritten werden müssen („Mackenroth-Theorem“).
Durch die große Rentenreform 1957 wurde in Deutschland über viele Jahrzehnte die wesentliche Absicherung der Beschäftigten im reinen Umlagefinanzierungsverfahren realisiert. Kapitalgedeckte Instrumente waren durchaus vorhanden (wie etwa Lebensversicherungen), aber nicht von entscheidender Bedeutung bzw. außerhalb der sozialpolitischen Verantwortung. Zudem waren sie nur begrenzt von Entwicklungen der (internationalen) Kapitalmärkte abhängig.
Paradigmenwechsel zur Jahrtausendwende
2001 kam es zu einem Paradigmenwechsel: Der Leistungsumfang der umlagefinanzierten GRV wurde schrittweise erheblich reduziert. Zugleich wurden Anreize gesetzt, die Lücken freiwillig durch private und betriebliche Vorsorge zumindest teilweise zu schließen. Dieser Reformansatz wird mittlerweile von vielen Expert*innen aus guten Gründen als gescheitert beurteilt. Nicht alle Betroffenen sorgen im erforderlichen Maße vor bzw. sind dazu in der Lage. Zudem weisen die genutzten Produkte häufig strukturelle Mängel auf (etwa in Bezug auf den Risikoschutz und die Anpassung der späteren Leistungen) und werden von Verbraucherschützer*innen kritisiert.
Die Mängel der bisherigen Politik sind zwar offensichtlich, Befürworter*innen der Kapitaldeckung ficht dies allerdings nicht an. Kritik an der Ausgestaltung der bisherigen Vorsorgewege diskreditiert für sie nicht das Verfahren insgesamt. Ihre Haltung lässt sich etwa so zuspitzen: „Kapitalgedeckte Alterssicherung ist gerade im demografischen Wandel nach wie vor sinnvoll, wurde in Deutschland bisher aber schlecht umgesetzt – nämlich zu kleinteilig, wenig ertragreich und lückenhaft. Jetzt aber richtig!“ Oft schlagen sie deshalb eine höhere Verpflichtung zu Vorsorge (zumindest bessere Anreize oder „Nudging“), kollektivere Organisation und renditeorientiertere, möglichst weltweit gestreute Anlage vor.
Problem erkannt, Problem gebannt?
Die Vorhaben der Ampel sind durchaus in diesem Sinne zu interpretieren. Sie könnten tatsächlich zu höheren Erträgen und mehr Effizienz führen, als es bisher der „Riester“-Vorsorge gelungen ist. Korrekturen von Problemen auf Wohlfahrtsmärkten ändern allerdings nichts an grundlegenden Bedenken gegenüber einem Ausbau der Kapitaldeckung:
Zunächst können Volkswirtschaften nicht wie Privatleute sparen – sie können Güter und Dienstleistungen, die die Rentner*innen zum Leben benötigen, nicht einfach vorproduzieren und „auf die hohe Kante legen“. Stattdessen müssen diese immer wieder aufs Neue erarbeitet werden. Auch Wohlstandsimport aus dem Ausland ist allenfalls begrenzt möglich. Das Argument, dass durch höhere Anlagen inländische Investitionen stattfinden und damit die Wirtschaft gestärkt wird, trägt empirisch ebenfalls nicht. Vielmehr steht zu befürchten, dass Sparanstrengungen der Volkswirtschaft eher hinderlich sind.
Hohe Durchschnittsrenditen der Vergangenheit (nominal etwa 8 % p. a. bei Aktien, deutlich weniger bei sicherheitsorientierter Anlage) sollten auch mit Blick auf die nachlassende Produktivitätsentwicklung nicht als langfristig gegeben unterstellt werden. Hinzu kommt: Der Vermögensaufbau braucht Zeit. Und er geht bei weiterlaufendem Umlageverfahren mit einer Doppelbelastung der Sparer*innen einher, die parallel die aktuellen Renten finanzieren. Selbst wenn der Vermögensaufbau über Kapitalmärkte gelingt, stellt sich in der Leistungsphase die Frage: Wie lässt sich das Kapital verlässlich und fair in Renten umwandeln und anhaltende Teilhabe sichern? Das Umlageverfahren kann hingegen genau das, ist flexibel und zum Sozialausgleich fähig. Auch heutige, von Einschnitten betroffene Rentner*innen können so adressiert werden.
Wieviel hätten S‘ denn gern?
Den genannten sozialpolitischen Einwänden könnte ein staatlich organisierter Fonds für die Rentenversicherung – wie aktuell geplant – noch am ehesten begegnen: Eine kostengünstige und kollektive Anlage, die der nach wie vor umlagebasierten GRV insgesamt zugutekommt und hilft, die dort erworbenen Ansprüche inkl. Sozialausgleich einzulösen. Hier kommt es sozialpolitisch darauf an, klar zu regeln, dass Finanzmarktrisiken nicht in die Leistungsgestaltung der GRV durchschlagen dürfen. Aber die Bedenken im Hinblick auf makroökonomische Nebenwirkungen und Verteilungsfragen sind damit nicht ausgeräumt.
Vor allem aber stellt sich die Frage nach Zielsetzung und tatsächlichen Fähigkeiten des „Generationenkapitals“. Wenn das Ziel eine zusätzliche Finanzierung zwecks Beitragssatzstabilisierung ist, erscheint der Einstieg mit 10 Mrd. Euro als winzig. Falls optimistisch mit 8% Rendite aus Aktienanlage gerechnet wird und davon zwecks Werterhalt drei Prozentpunkte (~Lohnentwicklung) wieder dem Kapitalstock zufließen, könnten 5% ausgeschüttet werden – also zunächst 500 Mio. Euro jährlich. Das hört sich nach einer großen Summe an. Es entspricht bei GRV-Ausgaben von rund 375 Mrd. Euro pro Jahr aber nicht einmal einer halben Tagesausgabe. Wenn das Ziel ist, Einnahmen in Höhe eines Beitragssatzpunktes zu generieren (jährlich gut 15 Mrd. Euro), wäre also ein Kapitalstock von über 300 Mrd. Euro mit voller Aktieninvestition vonnöten (und nicht mit geringer verzinster, dafür sichererer Anlage, etwa in Anleihen)! Nochmals deutlich höhere Summen wären notwendig, wenn der Fonds zu seinem Aufbau aufgenommene Kredite – tatsächlich ist die weitere Finanzierung bislang ungeklärt – auch noch aus den Erträgen tilgen müsste. Kurz gesagt wirkt der Versuch, den Beitragssatzanstieg per „Generationenkapital“ zu dämpfen, unrealistisch, zu riskant und damit nutzlos!
Muss das sein?
Unklar ist, was die Koalitionäre mit diesem Plan tatsächlich verfolgen – einen künftig doch schnelleren Aufbau des Kapitalstocks unter geänderten Mehrheitsverhältnissen (was die Frage provoziert, woher dann das Geld kommen soll)? Oder unter anderen Mehrheitsverhältnissen eine sang- und klanglose Beendigung des Versuchs, was bei kleinen Anlagebeträgen schnell möglich ist?
Sinnvoller scheint es doch, das Umlageverfahren zu stärken – u. a. durch eine gute Arbeitsmarktpolitik, gute Löhne, angemessene Bundeszuschüsse und den Übergang zur Erwerbstätigenversicherung – und dabei auch nicht vor höheren Beiträgen zurückzuschrecken. Das ist machbar – siehe Österreich – und gesamtwirtschaftlich unproblematisch. Das zentrale und wichtige Ampel-Versprechen „dauerhafte Haltelinie bei 48 %“ könnte so leichter eingelöst werden!
Magnus Brosig und Florian Blank 2023, Gute Renten durch Kapitaldeckung?, in: sozialpolitikblog, 27.04.2023, https://difis.org/blog/?blog=60 Zurück zur Übersicht
Dr. Magnus Brosig ist als Referent für Sozialversicherungs- und Steuerpolitik in der Politikberatung der Arbeitnehmerkammer Bremen tätig. Er befasst sich dabei unter anderem mit Strukturproblemen und Entwicklungsperspektiven des deutschen Alterssicherungssystems, insbesondere der gesetzlichen Rentenversicherung.
Dr. Florian Blank leitet das Referat Sozialpolitik am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf. Seine Forschungsarbeit beschäftigt sich mit Fragen der Sozialversicherung, tariflicher und betrieblicher Sozialpolitik sowie der Grundsicherung. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Alterssicherung.