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Veranstaltungsbericht: Arbeits- und Lebensbedingungen von Migrant*innen im Ruhrgebiet – gestern und heute

Gemeinsam mit den Kooperationspartnern Fachhochschule Dortmund und Hoesch-Museum führte das DIFIS am 23.06.2025 eine Veranstaltung durch, in der die spezifischen Erfahrungen, Arbeits- und Lebensbedingungen von Migrant*innen im Ruhrgebiet ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert im Mittelpunkt standen.

Ziel war es, weniger beachtete Perspektiven fachübergreifend und praxisnah sichtbar zu machen, wie etwa die Perspektive ehemaliger „Gastarbeiter*innen“ oder den Blick auf die oft besonders prekären und belastenden Situationen weiblicher Arbeitsmigrantinnen. Dabei ging es auch darum, Ähnlichkeiten und Unterschiede historischer Phasen von Migration im Ruhrgebiet im Vergleich zur Gegenwart zu beleuchten.

Das Hoesch-Museum stellte einen besonderen Veranstaltungsort mit historischer Bedeutung für das Thema dar: Im Stahlwerk Hoesch waren zahlreiche „Gastarbeiter*innen“ beschäftigt, gleichzeitig wird ihr Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung und der Entwicklung der Ruhrgebietsstädte bis heute nicht ausreichend wahrgenommen. Dass Frauen ab Mitte der 1960er bis in die 1970er Jahre rund 30 Prozent der „Gastarbeiter*innen“ darstellten, ist heute kaum bekannt. Damals wie heute sind sie stärker von Unsichtbarkeit, Mehrfachbelastung und Mehrfachbenachteiligung betroffen.

Diese Blindstellen wurden in der Veranstaltung in den verschiedenen Programmteilen sichtbar gemacht und die Erfahrungen und Perspektiven der Migrant*innen selbst, ihr Blick auf Ein- und Ausschlüsse und die Wahrnehmung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen „Zwischen Prekarität und Aufstiegsversprechen?“ – so der Titel der Veranstaltung – artikuliert.

Nach einem Einführungsvortrag zu Ähnlichkeiten und Unterschieden dieser Erfahrungen und ihrer politischen, rechtlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in historischer Perspektive (Dr. Kirsten Hoesch, Dr. Thorsten Schlee), stellten Studierende der Fachhochschule Dortmund die Ergebnisse eines Lehrforschungsseminars im Sommersemester 2025 vor.

Unter der Leitung von Prof. Dr. Emra Ilgün-Birhimeoğlu (Fachhochschule Dortmund, Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften) hatten sie Interviews mit ehemaligen Gastarbeiter*innen – darunter viele „Hoeschianer*innen“ - geführt und ausgewertet. Neben vielen berührenden und nachdenklich machenden Einblicken wurde ein zwar ambivalentes, aber insgesamt eher positives Bild gezeichnet: Trotz diverser Härten, Barrieren und Schwierigkeiten im Alltag (Sprache, Wohn- und Arbeitsbedingungen, transnational getrennte Familien, Heimweh etc.) wurde die Migration in der Rückschau mehrheitlich positiv bewertet und als Lebensleistung verstanden. Es wurde aber auch deutlich, dass sich der Zugang zu sozialer Sicherung und Arbeit nicht für alle gleich fair gestaltete.

Eine Gruppe Studierender
Studierende des Lehrforschungsseminars von Prof. Dr. Emra Ilgün-Birhimeoğlu

In einer Podiumsdiskussion zum Thema „Prekär, mehrfach benachteiligt, unsichtbar? – Migration, Arbeit und Geschlecht im Blick“ standen dann Fragen nach Kontinuitäten und Brüchen in den Arbeits- und Lebensrealitäten migrantisierter Frauen im Fokus.  Gemeinsam mit vier Gästen aus der politischen Interessenvertretung (Dr. Delal Atmaca, DaMigra e.V.), aus der Beratungspraxis (Szabolcs Sepsi, Faire Mobilität), aus der Literatur (Gün Tank) und der Wissenschaft (Cora Wernerus, Universität Bremen) diskutierte Kirsten Hoesch, was sich historisch verändert hat, welche Muster bestehen bleiben, wie Teilhabe gestärkt und strukturelle Benachteiligung abgebaut werden kann.


Mehrere Personen sitzen nebeneinander auf einem Podium und unterhalten sich
Podiumsdiskussion „Prekär, mehrfach benachteiligt, unsichtbar? – Migration, Arbeit und Geschlecht im Blick“

Den Abschluss der Veranstaltung, die sich an ein breites Publikum aus Wissenschaft und Praxis richtete, bildete eine Lesung der Journalistin und Autorin Gün Tank aus ihrem Buch „Die Optimistinnen. Roman unserer Mütter“. Darin verleiht sie den Geschichten der „Gastarbeiterinnen“ eine Stimme und erinnert u.a. an ihre zentrale Rolle beim sogenannten „Pierburg-Streik“ 1973 in Neuss, bei dem 1700 Frauen – überwiegend Migrantinnen – und 300 Männer erfolgreich für die Abschaffung der sogenannten „Leichtlohngruppe 2“ für Frauen – und eine faire Bezahlung streikten.


Lesung der Journalistin und Autorin Gün Tank


Programm der Veranstaltung

 

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