Armutsforschung

Ansprechpartner*innen: Dr. Ortrud Leßmann (Hamburg und München) und Prof. Dr. Kai Marquardsen (Kiel)

Die wissenschaftliche und öffentliche Debatte über Armut gewinnt wieder an Bedeutung. Wirtschaftliche Krisen und Strukturveränderungen sowie arbeitsmarkt- und sozialpolitische Weichenstellung haben dazu beigetragen, dass die Zahl der Menschen zugenommen hat, die temporär, wiederholt oder gar dauerhaft von relativer Armut betroffen und von Teilhabe ausgeschlossen sind. Ziel des Issue Networks ist es, aktuelle Forschungen zum Thema Armut zu bündeln und Impulse für eine nachhaltige und sozial gerechte Sozialpolitik zu geben.

Aktuelle Forschungen zum Thema Armut

  • Welche Forschungsbeiträge gibt es?
  • Welche Methoden werden angewandt?
  • Welche Daten werden genutzt?
  • Welchen weiteren Daten braucht es?
  • Welche neuen Forschungsfragen stellen sich?
  • Wie kann eine nachhaltige und sozial gerechte Sozialpolitik aussehen?
  • In Deutschland, Europa und global

Aktivitäten

  • Vernetzung von Personen und Themen
  • Regelmäßige Treffen online und in Präsenz
  • Gemeinsame Publikationen 
  • Initiativen zur Akquise von Forschungsmitteln
  • öffentlichen Diskurs über Armut stärken
  • Politikberatung

Vorstellung des aktuellen Netzwerks

Das Netzwerk versteht sich als interdisziplinär und ist für Forscher*innen aus allen wissenschaftlichen Disziplinen offen. Die Anmeldungen zum Auftakttreffen zeigen die disziplinäre Vielfalt der beteiligten Wissenschaftler*innen:

Im Rahmen des ersten Treffens haben sich drei thematische Untergruppen gebildet, die parallel zum Gesamtnetzwerk weiterarbeiten werden:

  • Methoden/Feldzugänge
  • Transformation/Nachhaltigkeit
  • Handlungsfähigkeit/Akteursperspektive

Aktuelle Entwicklungen

Das Issue Network richtet gemeinsam mit dem DIFIS Arbeitsforum „Armuts(folgen)prävention für Kinder und Jugendliche“ ein Panel auf dem diesjähirgen FIS-Forum mit Social Policy Biennale Lost in Social Policy? Forschung für eine integrierte Sozialpolitik aus, das vom 06.-08.11.2024 in Berlin stattfinden wird. Das Panel greift das Thema Kinderarmut als Schnittstellenproblem auf. Die Panelverantwortlichen freuen sich über Ihre Einreichungen und Ihre Teilnahme, weitere Informationen zum Call for Abstracts (Einreichfrist 23.04.2024) und zur Veranstaltung finden Sie hier.

Das Issue Network veranstaltete vom 22.-23.02.2024 am Campus der Universität-Duisburg-Essen/Duisburg eine Konferenz zum Thema Armutsforschung: theoretische Ansätze, empirische Zugänge, politische Perspektiven. Das Programm finden Sie hier.

Am 13.10.2023 fand ein digitaler Workshop zu politischen Perspektiven der Armutsforschung statt. Nähere Informationen zum Workshop können bei Interesse bei den Ansprechpartner*innen eingeholt werden.

Am 14.04.2023 fand von 12:00 bis 14:00 Uhr ein digitaler Workshop zum Thema Methoden der Armutsforschung statt.

Am 03.02.2023 fand ein digitaler Workshop zum Thema Armutstheorien und -konzepte statt.

Am 25.11.2022 fand ein digitales Treffen des Issue Networks statt.

Am 15.10.2022 fand ein digitales Treffen der Arbeitsgruppe "Handlungsfähigkeit/Akteursperspektive" statt.

Am 1.7.2022 fand die digitale Auftaktveranstaltung des Issue Networks Armutsforschung statt, hier finden Sie den Flyer inklusive Programm.

Nähere Informationen zu den Veranstaltungen können bei Interesse bei den Ansprechpartner*innen eingeholt werden.

Konferenzbericht

Am 22.-23.02.2024 fand unter dem Titel „Armutsforschung: theoretische Ansätze, empirische Zugänge, politische Perspektiven“ die interdisziplinäre Konferenz des DIFIS-Issue-Networks Armutsforschung am Campus der Universität Duisburg-Essen statt. In sechs Workshops, drei Plenarvorträgen und einer Podiumsdiskussion setzten sich ca. 80 Teilnehmende über zwei Tage mit aktuellen Perspektiven der Armutsforschung im deutschsprachigen Raum auseinander. Beiträge kamen von Forschenden aus Deutschland, Irland, Österreich und der Schweiz.
Das Interesse an der Tagung und die Vielfalt der Beiträge spiegeln die hohe gesellschaftliche und wissenschaftliche Relevanz der Armutsthematik wider. So erhält Armut im medialen und politischen Diskurs derzeit viel Aufmerksamkeit. Parallel dazu findet sich eine Vielzahl an Forschungsbeiträgen, die sich empirisch mit dem Phänomen der Armut befassen, aber auch theoretische Deutungsangebote zum Verständnis von Armut liefern. In seinem Eingangsvortrag stellte Lutz Leisering die These auf, dass derzeit eine Dramatisierung der Armutsthematik zu beobachten sei. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Armut bedürfe mehr Präzision und Sachlichkeit statt normativ geprägter Positionierungen. Die Diskussionen, die um diesen einleitenden Beitrag entstanden, zeigten jedoch, dass die Existenz und Persistenz von Armut in unserer Gesellschaft grundlegende Fragen in den Raum stellen, die auch normativer Art sind. So ließe sich in Anknüpfung an Thomas Marshall die Frage formulieren, inwiefern Armut als extreme Ausprägung sozialer Ungleichheit heute mit bestehenden Vorstellungen sozialer Gerechtigkeit vereinbar ist. Anders gefragt: Haben wir es bei Armut mit einer legitimen Ungleichheit im Sinne Marshalls zu tun, die auf der Grundlage einer vorhandenen Chancengerechtigkeit beruht? Daran, und das zeigen nicht zuletzt Befunde aus der aktuellen Armutsforschung, lassen sich erhebliche Zweifel formulieren. Damit jedoch wird Armut auch zu einer normativen Frage. Armut kann als Forschungsgegenstand schwerlich neutral betrachtet werden, weil sie gegen basale Gerechtigkeitsversprechen verstößt und individuelles Leid verursacht. Armutsforschung steht dabei vor der Herausforderung, sich einerseits gegen eine Skandalisierung ihres Gegenstandes abzugrenzen und andererseits Armut als soziales Problem nicht nur selbstreferenziell im wissenschaftlichen ‚Elfenbeinturm‘ zu diskutieren, sondern auch in den politischen Diskurs einzubringen. Durch die Verortung des Issue Networks und der Tagung im Rahmen des DIFIS gewinnt diese Aufgabe des Transfers wissenschaftlicher Befunde in den politischen Raum eine besondere Bedeutung.
Die Tagung zeigte ein facettenreiches Bild über Armut, das von vielfältigen methodischen und theoretischen Zugängen sowie der Symbiose von vorhandenen Wissensbeständen und neuen Erkenntnisse gekennzeichnet ist. An dieser Stelle seien lediglich einige subjektive Eindrücke aus der Tagung benannt. So ließ sich eine Schnittmenge vieler Beiträge in einer Subjektperspektive auf Armut erkennen, die das Erleben und die Bewältigung von Armut in den Vordergrund stellen. Eine solche Perspektive bricht mit gängigen Erzählungen über Menschen in Armutslagen. So wird Armut im aktivierungspolitischen Diskurs als Folge von individuellen Verhaltensdefiziten interpretiert. Entsprechend zielen aktivierungspolitische Maßnahmen auf eine Verhaltensänderung von Menschen ab. Eine solche Sichtweise greift einerseits zu kurz, weil sie die strukturellen Ursachen von Armut ausblendet. Andererseits wird übersehen, dass Armut als Lebenslage die Menschen in vielfältiger Weise in ihrer Handlungsfähigkeit einschränkt. In (relativer) Armut zu leben bedeutet für Menschen, ihre gesamte Energie auf die Bewältigung eines prekären Alltags richten zu müssen. Die Fähigkeit eines zukunftsgerichteten Denkens geht unter diesen Bedingungen verloren. Aktivierungspolitische Maßnahmen, die auf das Verhalten von Menschen in Armutslagen abzielen, gehen dagegen von der Annahme eines rational-kalkulierenden Subjekts aus, das durch positive oder negative Verhaltensanreize zu einem erwünschten Verhalten gebracht werden soll. Tritt der erwünschte Effekt der Überwindung der Armutslage nicht ein, wird dies als individuelles Verschulden aufgefasst. Umgekehrt findet sich im Diskurs über Armut aber auch eine Sichtweise, die Menschen in Armutslagen ausschließlich als passive Opfer ausschlussproduzierender gesellschaftlicher Verhältnisse wahrnimmt. Eine subjektorientierte Perspektive auf Armut vermeidet solche verkürzten Sichtweisen auf Armut. So lässt sich die Bewältigung von Armut auch als Versuch deuten, innerhalb dieser Verhältnisse bzw. in Reaktion auf Erfahrungen der sozialen Ausgrenzung die eigene Handlungsfähigkeit zu behaupten. Damit wird in doppelter Weise eine Defizitperspektive auf Menschen in Armutslagen überwunden.
Eine solche Deutung bleibt eine rein persönliche Bilanz aus der Tagung. Aber auch das ist ein Teil der Geschichte: Die Tagung schaffte die Gelegenheit zu einem inspirierenden und kontroversen Austausch über verschiedene Sichtweisen auf Armut als einem Forschungsgegenstand, der gegenwärtig ein großes wissenschaftliches Interesse auf sich zieht und von hoher gesellschaftlicher Sprengkraft ist. So dürfte die Existenz einer ausgedehnten und verfestigten Armutszone auch und wesentlich dazu beitragen, dass auch Menschen, die nicht unmittelbar von Armut bedroht sind, heute in der Angst vor dem sozialen Abstieg leben. Eine Gesellschaft, in der die Möglichkeit denkbar ist, sozial ganz unten sein zu können, ist eine verunsicherte Gesellschaft, in der sich soziale Abstiegsängste verfestigen. Vor diesem Hintergrund gewinnen, wie eingangs skizziert, Fragen nach sozialer Gerechtigkeit an Bedeutung, mit denen sich auch die Armutsforschung auseinandersetzen muss.
Als ein Erfolg der Tagung kann es gesehen werden, dass Armutsforschung als aktuelles, vielfältiges und dynamisches Forschungsfeld sichtbar gemacht wurde. Weiterhin hat sie die Möglichkeit eröffnet, Perspektiven auf Armut als Forschungsgegenstand zu schärfen und weiterzuentwickeln. Das Issue Network „Armutsforschung“ am DIFIS lädt herzlich dazu ein, diesen begonnenen Austausch fortzusetzen und eine weitere Vernetzung auf dem Gebiet der Armutsforschung zu schaffen.
Prof. Dr. Kai Marquardsen (Fachhochschule Kiel)

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