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Veranstaltungsbericht: "Zwischen Strukturwandel und Demografie – aktuelle Herausforderungen für die Arbeitsmarktpolitik"
Am Mittwoch, den 15. Oktober 2025, fand das DIFIS Hot Topic „Zwischen Strukturwandel und Demografie – aktuelle Herausforderungen für die Arbeitsmarktpolitik“ als digitaler Kurzworkshop statt. Mit 36 Teilnehmenden stieß die Veranstaltung auf reges Interesse bei Fachleuten aus Wissenschaft, Politik und Praxis. Im Zentrum stand die Frage, wie Arbeitsmarktpolitik, makroökonomische Steuerung und soziale Sicherung im Spannungsfeld von Klimatransformation, demografischem Wandel und regionaler Ungleichheit zusammengedacht und gestaltet werden können.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Ute Klammer, Direktorin des DIFIS an der Universität Duisburg-Essen.
Den Auftakt machte Prof. Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, mit einer global ausgerichteten Analyse der ökonomischen Rahmenbedingungen der Transformation. Er betonte, dass der gegenwärtige Strukturwandel durch Dekarbonisierung politisch initiiert, zeitlich determiniert und in seinen Auswirkungen tiefgreifender sei als frühere Transformationsprozesse. Besonders hob er das Zusammenspiel von Lohn-, Finanz- und Geldpolitik hervor: Während Lohnpolitik über Allokations-, Distributions- und Stabilisierungsfunktionen Druck aus Knappheiten und Inflation abfedern könne, müssten steigende Staatsausgaben und Zinsen finanzpolitisch und geldpolitisch koordiniert werden, um neue Zielkonflikte zu vermeiden.
Prof. Hüther illustrierte den tiefgreifenden Strukturwandel mit aktuellen Beschäftigungsdaten: Seit 2023 ist ein deutlicher Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe zu beobachten – ein Zeichen für wachsende Unsicherheit, strukturelle Anpassungsprozesse oder sogar beginnende De-Industrialisierung. Unternehmen reagieren häufig mit „Labour Hoarding“, also dem bewussten Halten von Personal trotz sinkender Produktivität, um dem Fachkräftemangel langfristig zu begegnen. Gleichzeitig verdeutlichten Befragungsdaten, dass insbesondere eine Absenkung von Steuern und Sozialbeiträgen Beschäftigte dazu motivieren könnte, mehr zu arbeiten – ein zentrales Argument für eine steuer- und arbeitsmarktpolitische Gesamtstrategie, die Arbeitsanreize stärkt und Beschäftigungspotenziale mobilisiert.
Prof. Dr. Gerhard Bosch, Senior Professor am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen, konzentrierte sich in seinem anschließenden Vortrag stärker auf die Herausforderungen aus der Mikro- und Mesoperspektive und stellte Fragen der inner- und zwischenbetrieblichen Mobilität sowie Qualifikationsbedarfe in den Fokus. Er betonte, dass der aktuelle Strukturwandel durch die Gleichzeitigkeit von Dekarbonisierung, Digitalisierung und Demografie („3D“) eine qualitativ neue Situation darstelle. Anders als in früheren Strukturwandelphasen gehe es heute nicht primär um einen Personalabbau, sondern um die bestmögliche Ausschöpfung vorhandener und neuer Arbeitskräftepotenziale. Dazu gehörten neben Bildung und Berufsbildung auch eine aktive Migrationspolitik sowie der gezielte Einsatz von Digitalisierung zur Produktivitätssteigerung. Prof. Bosch identifizierte mehrere Risikozonen der Transformation für Beschäftigte: 1. Einkommen: Der Verlust gut bezahlter, tarifgebundener Industriearbeitsplätze bei gleichzeitig sinkender Tarifbindung führt zu höheren Einkommensrisiken und verstärkt Ängste vor dem Wandel. 2. Weiterbildung: Eine Rückkehr zur „Work-first“-Logik, wie sie durch die Wiedereinführung des Vermittlungsvorrangs im SGB II droht, sei kontraproduktiv. Stattdessen brauche es eine konsequente „Train-first“-Strategie mit stärkerem Fokus auf Qualifizierung, insbesondere in gewerblichen Berufen. 3. Erwerbspotenziale: Zusätzliche Beschäftigungspotenziale können je nach adressierter Zielgruppe durch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, frühkindliche Bildung und Sprachförderung sowie durch freiwillige, gesundheitsorientierte Beschäftigungsstrategien Älterer erschlossen werden. In seiner Schlussfolgerung sprach Bosch von einer „doppelten Herausforderung“ für die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik: Einerseits müsse sie konsistente Rahmenbedingungen und effiziente Steuerungsinstrumente schaffen – insbesondere in der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik –, andererseits sei eine sozialverträgliche Gestaltung des Strukturwandels erforderlich, um Ungleichheiten zu verringern und die gesellschaftliche Akzeptanz der Transformation zu sichern.
In der anschließenden Diskussion wurde insbesondere das Zusammenspiel verschiedener Treiber der Transformation sowie die Spannungsfelder zwischen wirtschaftlicher Steuerung, sozialer Absicherung und politischer Akzeptanz beleuchtet. Die Teilnehmenden diskutierten, welche politischen Instrumente geeignet seien, um Fachkräftemangel, regionale Ungleichheiten und soziale Risiken im Wandel zu adressieren, wie unausgeschöpfte Arbeitsmarktpotenziale unterschiedlicher Gruppen gehoben werden könnten und eine nachhaltige und sozial gerechte Arbeitsmarktpolitik gestaltet werden kann. Meinungsverschiedenheiten gab es zwischen den Inputgebenden beim Kündigungsschutz und der Arbeitszeit.
Die Präsentationen von Prof. Dr. Hüther und Prof. Dr. Bosch wurden aufgezeichnet und sind in Kürze auf dem YouTube-Kanal des DIFIS zu finden. Die Folien der Vorträge stehen hier als PDF zur Verfügung:
Folien zum Vortrag von Prof. Dr. Hüther als PDF
Folien zum Vortrag von Prof. Dr. Bosch als PDF