Von Fallstricken moralischen Verhaltens und ihrer Bedeutung für die Politik
Rezension zu „Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein“, von Armin Falk
Rezension zu „Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein“, von Armin Falk
„Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein“, ein 2022 erschienenes Sachbuch von Armin Falk, liest sich über weite Teile wie eine Moralpredigt, wobei zunächst von einem konsequentialistischen Moralbegriff ausgegangen wird, am Ende aber für eine deontologische Ethik („mehr Kant wagen“) geworben wird (paradoxerweise mit konsequentialistischer Begründung). Persönlich stimme ich vielen normativen Aussagen im Buch zu, trotzdem halte ich die Trennung von positiven und normativen Aussagen, wie sie in ökonomischen Arbeiten üblich ist, für sinnvoll. Im Folgenden werde ich daher zunächst auf einige (positive) Ergebnisse der im Buch dargestellten Forschung eingehen, bevor ich am Ende auf Folgerungen für die (Sozial)politik und für zukünftige Forschung eingehe.
Zielkonflikt zwischen Moral und Eigennutz
Armin Falk befasst sich mit Zielkonflikten zwischen Moral und Eigennutz und der Bedeutung dieser u.a. für die Klimakrise und den sozialen Zusammenhalt. Er gibt dabei einen guten Überblick über grob drei Jahrzehnte verhaltensökonomischer Forschung zu moralischem und unmoralischem Verhalten. Unmoralisches Verhalten wird dabei als absichtsvolles oder aus niedrigen Motiven erfolgendes Herbeiführen von Schaden oder Schmerz von anderen definiert. Moralisches Verhalten zeichnet sich durch positive Effekte auf andere aus. In vielen der beschriebenen Experimente gibt es zwei Handlungsoptionen: eine moralische, bei der weniger verdient wird, und eine unmoralische, bei der man mehr Geld verdient, die aber negative Auswirkungen auf andere Versuchspersonen oder am Experiment unbeteiligte Dritte – in einigen von Nora Szechs und Armin Falks Experimenten sind dies auch Mäuse – hat. Wenig überraschend wird mehr unmoralisches Verhalten beobachtet, wenn die Opportunitätskosten für die moralische Option größer sind, also z.B. das Retten eines Mäuselebens teurer wird.
Interessant sind die Auswirkungen der verschiedenen untersuchten Faktoren, die das Verhalten in solchen Situationen beeinflussen. Reputationseffekte können moralisches Verhalten befördern, wenn es um das Ansehen als moralisch handelnder Mensch geht. Steht dagegen der Ruf besonders schlau oder fähig zu sein zur Disposition, so kann sich dies negativ auf moralisches Verhalten auswirken. Situationen zu vermeiden, in denen aktiv eine moralische oder unmoralische Entscheidung getroffen werden muss, sowie Möglichkeiten sich hinter Nichtwissen oder unklaren Verantwortungsstrukturen oder Kausalzusammenhängen zu verstecken, führen ebenfalls zu deutlich eigennützigerem Verhalten. In diesem Zusammenhang spielen Narrative eine gewichtige Rolle. Die Rolle, die Nora Szech und Armin Falk Märkten zuschreiben, die sie auf Grund der Diffusion von Verantwortung für problematisch halten, bzw. die Evidenz, die sie für diese Zuschreibung anführen, ist umstritten und wurde bereits an anderer Stelle ausführlich diskutiert (siehe Breyer und Weimann, 2015; Bartling, Fehr und Özdemir, 2021).
Ratschläge an die Politik
Neben bekannten Rezepten wie mehr Transparenz (Steuertransparenz, das Offenlegen von Nebeneinkünften von Politikerinnen und Politikern, Produktlabel für bessere Konsumentenentscheidungen) oder dem Setzen von gewünschten Entscheidungen als Defaults (Ökostrom, Organspende), die im Buch anhand einiger interessanter Beispiele diskutiert werden, propagiert Armin Falk auch weniger bekannte Ansätze.
Um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, den Armin Falk durch (wahrgenommene) zunehmende Ungleichheit und mangelnde Anerkennung gefährdet sieht, plädiert er für Ansätze, Segregation zu überwinden und mehr miteinander ins Gespräch zu kommen. Er befürwortet u.a. Mentoring-Programme, bei denen Kindern aus benachteiligten Verhältnissen Mentoren und Mentorinnen aus besseren Verhältnissen zugeordnet bekommen, die sich regelmäßig mit ihnen treffen. Die Auswirkungen solcher Programme wurden bereits sehr positiv evaluiert. Faktoren, die zu mehr Segregation und weniger Austausch führen, wie steigende Mieten oder die in Deutschland mit vier Jahren sehr kurze gemeinsame Schulzeit ohne Selektion und die Abschaffung des Wehr- und Zivildienstes, sieht Armin Falk entsprechend sehr kritisch.
Eine im Buch diskutierte Studie von Gautam Rao (2019) über indische Privatschulen zeigt sehr eindrücklich den Einfluss von Segregation bzw. deren Aufweichung. Die staatlich angeordnete Aufnahme von armen Kindern in elitäre Privatschulen führte bei den Schülern und Schülerinnen aus privilegierten Verhältnissen zu einer deutlichen Abnahme von Diskriminierung gegenüber den ärmeren Schülerinnen und Schülern.
Zur Bekämpfung der Klimakrise spricht sich Armin Falk für die CO2-Bepreisung und die Schaffung von Klimaclubs aus. Er schreibt Narrativen, die die Krise relativieren, eine große Wirkung zu, unter anderem ganz aktuell dem Narrativ, dass eine höhere CO2-Bepreisung besonders die sozial Schwachen treffen würde und daher nicht gerecht wäre. Armin Falk spricht sich vor diesem Hintergrund gegen eine Vermischung von Sozialpolitik und Klimapolitik aus. An dieser Stelle liegt er meiner Meinung nach falsch. Eine CO2-Bepreisung hat immer auch eine Verteilungswirkung, die aber erst mit der Verwendung der Steuergelder klar wird. Wie er richtig ausführt, würde z.B. eine Rückerstattung über eine Kopfpauschale die Einkommensungleichheit reduzieren, da die reicheren Haushalte deutlich mehr CO2 ausstoßen. Die beiden Aspekte Klima und Ungleichheit in einem Narrativ zu verbinden (z. B. „CO2-Bepreisung für mehr Klimaschutz und Gerechtigkeit“), wäre aus meiner Sicht ein erfolgsversprechender Weg, wenn man in Zeiten hoher Inflation Mehrheiten von klimapolitischen Zielen überzeugen möchte. Es braucht hierfür keine Trennung von Klima- und Sozialpolitik, sondern im Gegenteil eine gut verständliche Klimasozialpolitik mit überzeugendem Narrativ.
Zukünftige Forschung
Armin Falk spricht sich überzeugend für mehr Förderung von Forschung aus, ohne die eine evidenzbasierte Politikgestaltung nicht möglich ist. Er plädiert in diesem Zusammenhang für einen vereinfachten Zugang zu administrativen Daten und für mehr feldexperimentelle Studien zur Politikevaluierung. Den Nutzen, den die Erreichung dieser beiden Ziele haben könnte, macht er anhand von Beispielen aus den USA und Skandinavien deutlich.
Allein mit mehr Experimenten wäre es allerdings nicht getan. Um verlässliche Erkenntnisse zu gewinnen, müssten diese Studien hohen wissenschaftlichen Standards genügen. Die Vermeidung von HARKING (hypothesizing after the results are known) und p-Hacking (der selektiven Präsentation von statistisch signifikanten Ergebnissen) sowie die Gewährleistung, dass auch Nullresultate veröffentlicht werden, sind dabei äußerst wichtig. In diesem Zusammenhang möchte ich nachdrücklich für die Präregistrierung von Forschungsdesigns werben, zumindest von Feldexperimenten, deren Ziel der Test eines kausalen Zusammenhangs (z.B. der Effekt einer bestimmten Politikmaßnahme) ist. Feldexperimentelle Studien, deren Design sinnvoll präregistriert wurde, haben auf Grund der höheren Glaubwürdigkeit der Ergebnisse grundsätzlich mehr Aufmerksamkeit verdient. Zudem ist die Dokumentation und Publikation von Nullresultaten (z. B. zu politischen Maßnahmen, die eben nicht wirken) genauso wichtig wie die von glitzernden Sensationsbefunden und Erfolgsgeschichten. Mit Ausnahme der Entwicklungsökonomik hat sich diese Einsicht in den Wirtschaftswissenschaften leider noch viel zu wenig durchgesetzt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein“ die Relevanz (verhaltens)ökonomischer Forschung für evidenzbasierte (Sozial)politik aufzeigt und damit einen sinnvollen Beitrag leistet.
Literatur
Bartling, B., Fehr, E., & Özdemir, Y. (2021). Does Market Interaction Erode Moral Values? The Review of Economics and Statistics, https://doi.org/10.1162/rest_a_01021.
Breyer, F., & Weimann, J. (2015). Of morals, markets and mice: Be careful drawing policy conclusions from experimental findings! European Journal of Political Economy, 40, 387–390. https://doi.org/10.1016/j.ejpoleco.2015.06.003
Rao, G. (2019). Familiarity does not breed contempt: Generosity, discrimination, and diversity in Delhi schools. American Economic Review, 109(3), 774–809, https://doi.org/10.1257/aer.20180044
Sebastian Fehrler 2022, Von Fallstricken moralischen Verhaltens und ihrer Bedeutung für die Politik, in: sozialpolitikblog, 01.12.2022, https://difis.org/blog/?blog=40 Zurück zur Übersicht
Prof. Dr. Sebastian Fehrler ist Professor für das Fachgebiet „Ökonomie der Sozialpolitik“ am Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik (SOCIUM) der Universität Bremen und Gründungsmitglied des DIFIS. Seine Forschungsschwerpunkte sind Entscheidungsfindung und Kommunikation in Gruppen sowie die Evaluierung sozialpolitischer Maßnahmen.
Bildnachweis: Bastian Dincher | Universität Bremen