sozialpolitikblog
Buchcover des Buches "Soziales Klima. Der Konflikt um die Nachhaltigkeit des Sozialen" von Michael Opielka. Schwarze Schrift auf weißem Hintergrund.
Frank Nullmeier, 19.12.2023

Sozialpolitik für die ökologische Frage

Mit „Soziales Klima. Der Konflikt um die Nachhaltigkeit des Sozialen“ legt Michael Opielka, Leiter des Instituts für Sozialökologie, ein persönliches Buch vor – und ein Plädoyer für einen universalen Sozialstaat, der auch das Ökologische einschließt. Frank Nullmeier hat es gelesen und rezensiert.


Michael Opielka hat in den 1980er Jahren die Thematik des „Ökosozialen“ in Wissenschaft und Politik der Bundesrepublik eingeführt. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter der ersten Bundestagsfraktion der GRÜNEN in den Jahren 1983 bis 1986 trug er wesentlich zu einem eigenen sozialpolitischen Profil der jungen Partei bei. Er half entscheidend mit, die „Ökosoziale Frage“ in den Mittelpunkt eines Umbauprogramms des Sozialstaates zu stellen.

Es folgten viele Arbeiten zu speziellen Feldern der Sozialpolitik und der Sozialen Arbeit, zur Konzeption von Sozialpolitik insgesamt, zum Zusammenhang von Sozial- und Bildungspolitik und eine theoretisch-soziologische Grundlegung seines sozialpolitischen Denkansatzes in „Gemeinschaft in Gesellschaft. Soziologie nach Hegel und Parsons“ (2004). Nun hat Michael Opielka mit „Soziales Klima. Der Konflikt um die Nachhaltigkeit des Sozialen“ einen Essay in 13 Abschnitten vorgelegt, der Wege zur Integration von Klima- und Sozialpolitik erkundet. Der Essay folgt aber nicht einem zeitdiagnostisch-dramatisierenden Szenario eines drohenden Zusammenbruchs, er ist nicht im Sinne eines Plädoyers für eine Postwachstumsgesellschaft angelegt und dient keineswegs einer politisch-technischen Prüfung der geeignetsten Instrumente und Programme. Es geht vielmehr um die Einordnung ökosozialer Politik in ein Gesamtverständnis des Sozialen. Die einleitende Aussage „Soziales Klima wird dem Klima helfen“ (S. 11) lässt ahnen, dass Michael Opielka einen eigenen, spezifisch soziologischen und eher von der Sozialpolitik inspirierten Weg geht.

„Soziales Klima“ ist in vielerlei Hinsicht zugleich ein persönliches Buch. Biographische Splitter, Lebens- und Lektüreerfahrungen, gelingende und scheiternde Projekte treten auf und machen sichtbar, dass hier nicht nur Markierungen auf dem Markt wissenschaftlicher Forschungen gesetzt werden, sondern eine Übung in zusammenhängendem Weltverständnis erfolgt, ein Ringen darum, wie man soziologisch alles vom Klimawandel über den Anthropozentrismus über die Menschenrechte und die Religion bis zum guten Leben im Zusammenhang verstehen kann, ohne seinen Verstand zu verlieren oder sich an bloßes Modellieren, Berechnen und Experimentieren zu verlieren. Entsprechend geht es um mehr als eine Integration von Politikfeldern im Sinne „politischer Interdisziplinarität“ (S. 18), sondern um eine Zusammenführung von Gesellschaftstheorie und normativer Orientierung im Konzept sozialer Nachhaltigkeit.

Um eine Gesellschaft zu denken, die nicht auf Externalisierung der sozialen und ökologischen Folgekosten einer kapitalistischen Marktwirtschaft beruht, kann nicht das übliche Dreisäulenmodell aus sozialer, ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit genutzt werden, schreibt Opielka. Soziales und Ökonomisches bilden den Klassenkonflikt ab und drängen die ökologische Frage an den Rand. Daher arbeitet Michael Opielka allein mit einem weiten Verständnis von sozialer Nachhaltigkeit als Transformation der Gesellschaft in Richtung einer auf sozialen Grundrechten basierenden Gemeinschaft.

In der stark von Talcott Parsons geprägten (und von Hegel) geleiteten Gesellschaftstheorie Opielkas ist „gesellschaftliche Gemeinschaft“ eines von vier Subsystemen der Gesellschaft neben Wirtschaft, Politik und Legitimation. Gemeinschaft bezeichnet nicht exklusive Kleingruppen, sondern ist die soziologische Bezeichnung für ein notwendiges Element gesellschaftlicher Integration: Gemeinschaft ist immer in Gesellschaft zu denken und nicht als ihr Gegensatz zu verstehen. Sie ist gerade nicht wie eine Sekte oder eine Gruppe mit engen persönlichen Beziehungen zu fassen. Gemeinschaft ist in diesem abstrakteren Bezugsrahmen das Subsystem, das die Wohlfahrtsleistungen und wechselseitigen Hilfen bereitstellt, vormals seitens der Familiensysteme, in modernen Gesellschaften durch den organisierten Sozialstaat. Entsprechend interessiert Michael Opielka die Frage, welche Art von Gemeinschaftlichkeit sich aus ökosozialer Politik ergeben kann. In Auseinandersetzung mit Bruno Latour sieht Opielka die Möglichkeit eines „linken Kommunitarismus“ aufblitzen (S. 150), eine Form der Gemeinschaftlichkeit, die er solange mittragen kann, wie dieser Kommunitarismus nicht auf Exklusion zielt, also ein „liberaler Kommunitarismus“ (S. 77) bleibt. 

Die menschenrechtlich fundierte Gemeinschaftlichkeit wird am ehesten realisiert in einer „gerantistischen“ Ausgestaltung der Sozialpolitik. Opielka versteht unter Garantismus eine neue Stufe von Sozialstaat­lichkeit, die geprägt wird durch das Grundeinkommen. Opielka vertritt die Programmatik des Garantismus nicht, weil das Grundeinkommen etwa das bestgeeignete Mittel zur Armutsbekämpfung wäre. Es geht vielmehr um eine grundlegend neue Rechtfertigung von Sozialstaatlichkeit, eine Begründung, die nicht mehr an die Erwerbsarbeit anknüpft, sondern universal angelegt ist, also alle Personen, ohne Berücksichtigung ihrer Lebensumstände und Einkommenslage, umfasst. Es geht darum Sozialpolitik menschenrechtlich zu fundieren.

Mit der Entkopplung der Sozialpolitik von der Erwerbs- und Arbeitsmarktfixierung – und damit der Wachstumslogik – ist dieser Garantismus inhärent ökologieoffen und bildet einen Grundbaustein einer sozialen Klimapolitik. In der Forderung nach „ordentlichen Minima“ (S. 20) statt nach Erhalt des Lebensstandards trifft sich diese sozialpolitische Linie mit radikaleren ökologischen Positionen, die eine Lebensweise auf einem solchen Minimum-Niveau für erforderlich halten, um die Klimaziele zu erreichen.

Opielkas Garantismus changiert dabei ganz bewusst zwischen Zeitdiagnose („wir sind bereits auf dem Weg in den Garantismus), Prognose („wenn nicht schon jetzt, dann ist er doch sicher die kommende nächste Stufe“) und politischem Vorschlag (der ja jederzeit scheitern kann) (S.166). Es scheint eine Besonderheit vielleicht nicht nur bei Opielka, sondern in der makrosoziologisch orientierten Forschung insgesamt zu sein, hier nicht eine striktere Trennung vorzunehmen. Dies geschieht durchaus nicht unbegründet, denn die normativen Konzepte und deren Evolution werden selbst als Teil der Gesellschafts­entwicklung verstanden, die es zu analysieren gilt. So erscheint die eigene normative Überzeugung als (potentiell) zukünftiger Weltzustand, letztlich bleibt aber der Verdacht, dass hier doch ein Rest teleologischen Denkens vorliegt.

Die Proklamation einer neuen Stufe der Sozialstaatsentwicklung geht einher mit einer durchaus pragmatischen Sicht auf Durchsetzungsstrategien. Reformen wie die Einführung des Bürgergeldes und der Kindergrundsicherung werden als sehr unvollkommene Schritte in Richtung des Garantismus gedeutet. Darin ist die Argumentation den Überlegungen von Rolf G. Heinze und Jürgen Schupp (2022) zu einem Hineinwachsen in das Grundeinkommen nicht unähnlich. Dass die Höhe der Grundsicherungsleistungen dabei eine zentrale Rolle spielt, erkennt Opielka durchaus an. Aber die Möglichkeit, dass immer mehr Menschen in die diversen Systeme der Grundsicherung rutschen, wird von Opielka vielleicht zu wenig beachtet. Eine Gesellschaft, in der sehr viele auf Zahlungen der Jobcenter, Wohngeldämter und Familienservices angewiesen sind, ist doch etwas ganz anderes als eine Gesellschaft der sozioökonomischen Rechte und des vorab zur Verfügung stehenden Grundeinkommens. Die erhoffte Gemeinschaftlichkeit ist dann keine der Rechteinhaber*innen sondern der Antragstellenden – in einem Geflecht von schwer durchschaubaren Regelungen.

Debatten zur politischen Integration von Klima- und Sozialpolitik werden mit diskursiven Erbschaften im Gepäck geführt. Von sozialpolitischer Seite aus sind die Konfliktlinien zwischen Garantismus und bedingungslosem Grundeinkommen einerseits, Lebensstandardsicherung und Erwerbsarbeitszentrierung andererseits sehr lebendig. Von Seiten der Klimapolitik und der Nachhaltigkeitsforschung fehlt es manchmal an einem Verständnis für die institutionelle Seite des Sozialstaates kombiniert mit einer gewissen Deduktionslogik ausgehend von den Klimaprognosen. Zwischen eher politikwissenschaftlichen Beiträgen mit einem starken Staatsbias, soziologischen Arbeiten, die stärker auf die Zivilgesellschaft setzen, und nachhaltigkeitswissenschaftlichen Überlegungen, die das Verhalten und die Lebensweise insbesondere auf der Konsumebene akzentuieren, kommt es zu Brüchen, auch wenn man sich in den Zielsetzungen weitgehend einig ist. Ökosozialpolitik verlangt die wechselseitige Öffnung für andere Denk- und Herangehensweisen, aber auch einen wirklich weiten Horizont, der erst dafür sorgt, dass diese zentralen Zukunftsfragen nicht in bloßer Policy-Technik untergehen. Gut, dass Michael Opielka vor vierzig Jahren den ersten Aufschlag gemacht hat und nicht müde wird, diesen Weg weiter zu beschreiten. 

 

Literatur

Heinze, Rolf G./ Schupp, Jürgen (2022). Grundeinkommen – Von der Vision zur schleichenden sozialstaatlichen Transformation, Wiesbaden: Springer VS.


Opielka, Michael 2023. Soziales Klima. Der Konflikt um die Nachhaltigkeit des Sozialen, Weinheim, Basel: Beltz Juventa


Frank Nullmeier 2023, Sozialpolitik für die ökologische Frage, in: sozialpolitikblog, 19.12.2023, https://difis.org/blog/?blog=91

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