Die doppelte Transformation und soziale Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt
Wie wirkt sich das Zusammenspiel von digitaler und ökologischer Transformation auf die soziale Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt aus? Michaela Evans (Mitglied im Rat der Arbeitswelt) und Daniela Böhringer (Geschäftsstelle des Rats der Arbeitswelt) befassen sich mit dieser Frage.
Der digitale Wandel ist für die Arbeitswelt zu einem zentralen Treiber von Veränderungen geworden. Entgegen der weit verbreiteten Sorge um einen technologisch getriebenen größeren Arbeitsplatzabbau zeichnen sich bislang keine gesamtwirtschaftlich negativen Effekte auf die Beschäftigung in Deutschland ab (für einen Literaturüberblick siehe Arbeitsweltbericht 2023, S. 13 ff.). Im Kontext des ökologischen Wandels sind in den kommenden Jahren umfassende Investitionsmaßnahmen in allen Sektoren der deutschen Wirtschaft nötig. Betriebe haben vor diesem Hintergrund einerseits Möglichkeiten, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Anderseits werden jedoch bestehende Arbeits-, Dienstleistungs- und Produktionsprozesse infrage gestellt. Die gegenwärtigen geopolitischen Ereignisse könnten die ökologische Transformation beschleunigen, zum Beispiel mit schnelleren Wechseln zu erneuerbaren Energieträgern. Allerdings verringern die gestiegenen Energiekosten auch die Wettbewerbsfähigkeit vieler Betriebe in Deutschland.
Angesichts dieser Unsicherheiten bedarf es entsprechender industrie- und dienstleistungspolitischer Initiativen sowie breiterer und verlässlicher Rahmensetzungen, die den technologischen und ökologischen Wandel beschleunigen. So wird gewährleistet, dass von diesen Transformationen am Ende positive Beschäftigungsimpulse ausgehen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass in einigen Betrieben, Branchen und Berufen Arbeitsplätze in größerem Umfang abgebaut werden. Ein solcher Abbau kann sich regional konzentrieren, zum Beispiel in den Automobil-, Chemie- und Kohleregionen. Eine zentrale Herausforderung besteht darin, die sich dynamisch verändernden Arbeitsmarktstrukturen präventiv-orientiert zu gestalten. Berufswechsel zwischen unterschiedlichen Sektoren, aber gerade auch zwischen Industrie, Handwerk und dem Dienstleistungssektor werden aller Voraussicht nach in Zukunft an Bedeutung gewinnen.
Auch wenn nach dem bisherigen Stand der Forschung nicht zu befürchten ist, dass sich die Gesamtbeschäftigung negativ entwickeln wird, birgt dieses zunächst positiv anmutende Gesamtbild auf individueller Ebene doch einige Risiken. Denn sowohl Arbeitnehmer*innen, die in Beschäftigung sind, als auch Arbeitnehmer*innen, die einen Einstieg in den Arbeitsmarkt suchen, werden von betrieblichen Veränderungsprozessen und dem Wandel der Fach- und Arbeitskräftenachfrage unterschiedlich betroffen sein. Der Arbeitsmarktzugang, die Beschäftigungsstabilität und -fähigkeit, aber auch individuelle Chancen der Teilhabe an Qualifizierungsmaßnahmen sowie beruflicher oder betrieblicher Weiterbildung können sehr unterschiedlich ausgeprägt sein (vgl. Arbeitsweltbericht 2023, S.35). Dies betrifft etwa insbesondere Erwerbstätige, die zusätzlich familiäre Sorgearbeit leisten, besonders Alleinerziehende, Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, Behinderungen oder weiteren alltags- und beschäftigungsbezogenen Hilfebedarfen. Beschäftigte, die wenig oder keine Perspektive in ihrer aktuellen Beschäftigung haben und sich für eine neue Branche, einen neuen Arbeitsplatz oder sogar einen neuen Beruf qualifizieren müssen, brauchen zusätzliche Unterstützung. Und auch die Zuwanderung qualifizierter Fach- und Arbeitskräfte erfordert auch jenseits des Betriebs funktionierende Unterstützungsstrukturen vor Ort. Hinzu kommt, dass seitens der bisherigen Arbeitgeber*innen kaum Anreize bestehen dürften, in die Qualifikation von Mitarbeitenden zu investieren, die mittel- bis langfristig nicht mehr im Betrieb beschäftigt werden.
Sektorübergreifende Kooperation für soziale Sicherheit in der Transformation
Entsprechend bedarf es Strategien, die dazu beitragen, individuelle Risiken infolge von Transformationsprozessen und deren gesellschaftliche Konsequenzen zu minimieren. Trotz unterschiedlicher Betroffenheiten sollen alle Personen Zugang zum Arbeitsmarkt und nachhaltige Beschäftigungsmöglichkeiten finden sowie angemessen an Qualifizierung und betrieblicher Weiterbildung beteiligt werden (können). Höhere Investitionen in personenbezogene soziale Dienstleistungen sind notwendig, jedoch allein nicht ausreichend. Es bedarf darüber hinaus der Förderung und Weiterentwicklung personenzentrierter Unterstützungsangebote vor Ort – etwa um familiäre Sorgearbeit und Erwerbsarbeit besser zu vereinbaren oder zur Unterstützung und Begleitung gesundheitlich beeinträchtigter Zielgruppen in der Arbeitswelt durch regionale und betriebliche Maßnahmen im Kontext von Prävention, Gesundheitsförderung und Rehabilitation.
Angesichts der massiven Fach- und Arbeitskräfteengpässe gilt es, Betriebe zu befähigen, ihre Beschäftigten dabei zu unterstützen, neue arbeitsplatzbezogene Anforderungen zu erfüllen. Besonders kleine und mittlere Unternehmen sollten mit dieser Aufgabe nicht allein gelassen werden. Der Rat der Arbeitswelt empfiehlt daher in seinem Bericht, dass in Erweiterung individuell ausgerichteter Unterstützungsinstrumente (z.B. Pflegeunterstützungsgeld, betriebliche Pflegelots*innen) regionale Unterstützungsstrukturen zur Stärkung einer diversitäts- und lebensphasenorientierten Personalarbeit auf- und ausgebaut werden müssen. Dabei hilft unter anderem die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftsunternehmen und öffentlichen sowie privaten Anbietern personenbezogener sozialer Dienstleistungen. Solche Anbieter können in Kooperation mit den Unternehmen spezifische Arrangements entwickeln, um zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei der Kindererziehung oder der Pflege zu unterstützen.
Die doppelte Transformation muss von lebensphasenorientierten Unterstützungsstrukturen für (potenziell) Beschäftigte flankiert werden. Denn so können Betriebe über attraktive Arbeitsbedingungen, nachhaltig gestaltete Arbeit und passgenaue Unterstützungsstrukturen Menschen gewinnen und sie in unterschiedlichen Lebensphasen an sich binden. Lebensphasenorientierte Personalarbeit kann dazu beitragen. Dazu gehören unter anderem neue Wege in der betrieblichen Arbeitszeitgestaltung, Qualifizierungs- und Weiterbildungsplanung, aber auch die Weiterentwicklung unterstützender regionaler Dienstleistungsinfrastrukturen zur Förderung von Vereinbarkeiten.
Es ist für Betriebe unerlässlich, dafür Sorge zu tragen, dass das vorhandene Potenzial in der eigenen Belegschaft ausgeschöpft wird, berufliche Zukunftschancen für (potenziell) Beschäftigte gefördert werden und neue Perspektiven in der Arbeitswelt entstehen. Sie können dabei auf bestehende Initiativen, Programme und Netzwerkstrukturen aufbauen: Beispielsweise fördert die Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) die Entwicklung neuer Ansätze der diversitäts- und lebensphasenorientierten Personalarbeit und stellt Materialien zu diesen Aspekten für Betriebe zur Verfügung. Für die Zielgruppe Zugewanderter und internationaler Fachkräfte bieten etwa die IQ-Netzwerke Beratung und Unterstützung für Beschäftigte wie Betriebe. Instrumente, wie zum Beispiel die Familienpflegezeit, sollen die Vereinbarkeit von Beruf und Pflegeaufgaben erleichtern, werden bis jetzt jedoch nur wenig genutzt.
Diese ersten wichtigen Impulse gilt es weiter zu stärken und zu verbreitern. Um Transformation und soziale Sicherheit besser in Einklang zu bringen, sind jedoch darüberhinausgehende Anstrengungen nötig. Sie sollten auf eine bessere Vernetzung der verschiedenen Akteure in den sozialen Dienstleistungen und den weiteren Wirtschaftsbereichen zielen. Soziale Risiken, die durch die beiden großen Transformationsprozesse für Beschäftigte und Betriebe gleichermaßen entstehen können, werden so minimiert und abgefedert.
Michaela Evans und Daniela Böhringer 2023, Die doppelte Transformation und soziale Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt, in: sozialpolitikblog, 13.07.2023, https://difis.org/blog/?blog=70 Zurück zur Übersicht
Michaela Evans ist Sozialwissenschaftlerin und Mitglied im Rat der Arbeitswelt. Sie leitet am Institut Arbeit und Technik (IAT), Westfälische Hochschule den Forschungsschwerpunkt "Arbeit und Wandel" und beschäftigte sich mit der Transformation von Arbeit in den Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufen.
Dr. Daniela Böhringer ist Soziologin und Mitglied der Geschäftsstelle des Rates der Arbeitswelt und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen.
Rat der Arbeitswelt Transformation in bewegten Zeiten. Arbeitswelt-Bericht 2023