Sozialpolitikforschung braucht Wissenschaftskommunikation!
In Zeiten von Corona, Krieg und Inflation braucht es nicht nur das Fachwissen von Experten zu Viren, Militär und Wirtschaft, sondern vor allem eine verständliche Kommunikation der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Julia Kropf ist Moderatorin an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik. Im sozialpolitikblog-Gespräch spricht sie über Wissenschaftskommunikation in Krisenzeiten, ihre Bedeutung für die Sozialpolitikforschung und warum Podcasts ein guter Weg sind, wissenschaftlichen Themen Gehör zu verschaffen.
Interview: Pia Jaeger
Frau Kropf, was sollte sinnvolle Wissenschaftskommunikation leisten?
Wissenschaftskommunikation ist für mich die Übersetzung von komplizierten Sachverhalten in eine Form, in der sie für andere verständlich sind – also sowohl für Politikerinnen und Politiker als Grundlage für ihre Arbeit, aber natürlich auch, damit die Bürgerinnen und Bürger verstehen, was Wissenschaft macht und welche Ergebnisse erzielt werden. Insofern ist Wissenschaftskommunikation die Antwort auf die Frage: Wie kommuniziere ich mitunter komplizierte, komplexe und nicht zwingend für alle verständliche Inhalte, so dass sie entscheidungsrelevant werden können? Denn letzten Endes ist Wissenschaft ja immer auch eine Grundlage für Entscheidungen. Sei es auf individueller Ebene oder sei es auf politischer Ebene. Wissenschaft selber ist, wie jede andere Profession auch, manchmal betriebsblind und kann Dinge nicht so verständlich machen, wie es die können, die nicht ganz so stark in der Materie sind, aber wissen, wie man es am besten erklärt.
Kann Wissenschaftskommunikation gegen Populismus, Fake-News und Wissenschaftsskepsis helfen?
Zumindest ist das ein wichtiger Aspekt von vielen. Es ist eine Kunst von Wissenschaftskommunikation, dass sie nicht immer als Wissenschaft daherkommt. Gerade in Zeiten von Fake-News und Populismus kann alles missbraucht werden. Ist jemand skeptisch gegenüber Wissenschaftler*innen oder Wissenschaft, dann wird es nichts nützen, zu sagen: Das ist Wissenschaft, aber ich erkläre das jetzt mal verständlich. Zu Wissenschaft gehört immer auch das Gespräch, das ist das Entscheidende, um über Fake-News aufzuklären. Was mich zu dem Punkt führt, dass Wissenschaftskommunikation durchaus politisch aufgeladen sein kann, aber: Wissenschaftler*innen sind keine Politiker*innen. Gerade in Zeiten von sozialen Medien verschwimmt das häufig, weil sich Wissenschaftler*innen natürlich auch politisch äußern. Man sollte meines Erachtens versuchen, zu trennen, ob eine Aussage wissenschaftliche Erkenntnisse vermittelt oder eine politische Empfehlung enthält. Wissenschaft trägt auch eine große Verantwortung, pragmatisch Dinge zu kommunizieren und dadurch auch Zuversicht in das zu wecken, was Forschung und Wissenschaft können: nämlich Wissen zu vermitteln und (innovative) Lösungen zu entwickeln. Hätten wir frühzeitig in Bereichen wie beispielsweise der Umweltforschung auf die Wissenschaft gehört, sähe es heute vielleicht anders aus.
Wie schätzen Sie die Rolle der Wissenschaftskommunikation im gesellschaftlichen Diskurs der Republik ein? Nicht nur in der Sozialpolitikforschung, sondern auch in der Klimapolitik, Biotechnologie oder künstlicher Intelligenz stellt sich die Frage: Welche Argumente finden bei den Menschen Gehör?
Die eigentliche Frage ist ja, wie komme ich überhaupt in diese Räume rein, in denen Menschen sich bewegen. Das ist eine große Frage, die mich als Moderatorin auch sehr beschäftigt. Denn hier geht es auch um die Frage: Wie weit muss ich mich auf extreme Meinungen einlassen und mit welcher Intention kann ich das eigentlich tun? Ich glaube, dass es mehr Übersetzungstechniken braucht, um in diese unterschiedlichen Echoräume vorzudringen, die uns selbst vielleicht völlig fremd sind, weil wir diese Meinungen nicht haben. Eine zentrale Frage ist dabei, wie es gelingen kann, den digitalen Echoräumen analoge Räume entgegensetzen, in denen „echte“ Gespräche stattfinden können. Ich glaube, dass vor allem das persönliche Gespräch, das persönliche Zusammenkommen dabei hilft, gegen Fake-News und Verdrehung von Fakten anzugehen. Fehlinformationen oder gar Drohungen lassen sich im – oftmals anonymen – digitalen Raum viel leichter aussprechen.
Legitimiert Politik ihre Handlungen durch wissenschaftliche Erkenntnisse und schiebt damit ihre Verantwortung ab?
Das finde ich einen sehr interessanten Punkt. Es ist unter anderem eine wichtige Aufgabe von Wissenschaft, Entscheidungsfähigkeit herzustellen und zu unterstützen. Es geht nicht darum, Entscheidungen abzunehmen, es geht darum, wissenschaftliche Erkenntnisse so zu vermitteln, dass sie zur individuellen und zur politischen Entscheidungsfähigkeit beitragen können. Wissenschaft kann kein Risiko abnehmen, aber sie kann helfen, Risiken besser einzuschätzen. Dadurch leistet sie auch einen Beitrag zu meiner eigenen Selbstwirksamkeit. Das gleiche gilt auch auf politischer Ebene. Politik muss wissenschaftliche Erkenntnisse ins Verhältnis setzen und, im Fall von Sozialpolitik, die sozialen Folgen mit abwägen. Dadurch, dass Menschen informierter und kritischer geworden sind, ist die Notwendigkeit für die Politik, ihre Entscheidungen wissenschaftlich belegen zu können, stärker geworden. Und es ist, glaube ich, wirklich auch der Wunsch nach der Sicherheit sagen zu können, ja wir haben Wissenschaftler*innen einbezogen. Damit wird auch der Frage des Tragens der Beweislast von vornherein begegnet. Aber diese Hoffnung wird natürlich schon immer in die Wissenschaft gesetzt: dass ihre Erkenntnisse einen Anker bilden.
Das BMBF hat 2019 ein Grundsatzpapier veröffentlicht, in dem das Ziel formuliert wird, zum einen das Forschungsfeld der Wissenschaftskommunikation stärker zu fördern und zum anderen in diesem Bereich einen stärkeren Kapazitätsaufbau zu betreiben. Es fordert einen „Kulturwandel hin zu einer kommunizierenden Wissenschaft“ (BMBF 2019, S. 2). Was meinen Sie: Woher kommt dieses verstärkte Bewusstsein für Wissenschaftskommunikation?
Offensichtlich wurde schon vor Corona festgestellt, dass es eine Lücke gibt, was diese Übersetzungsfunktionen angeht. Man war sich einig, die Zusammenhänge zwischen einzelnen thematischen Bereichen stärker in den Blick zu nehmen. Es ist ja nicht nur die Aufgabe von Wissenschaftskommunikation zu übersetzen, sondern auch zu schauen wo Zusammenhänge zwischen den verschiedenen wissenschaftlichen Richtungen bestehen. In der Wissenschaft wird ja immer von Interdisziplinarität gesprochen. Wir sehen im Moment, dass Themen miteinander zusammenhängen und das ist genau die Frage: Was passiert zum Beispiel, wenn sich im Bereich von Energie etwas verändert auf sozialer Ebene? Wir sprechen immer von Komplexität, aber im Prinzip geht es doch darum, die Komplexität zu sehen und die Themen in Beziehung zueinander zu setzen.
Inwieweit hat sich die Rolle der Wissenschaftskommunikation seit Corona verändert?
Durch die Coronakrise und die Klimakrise, Energiekrise und aktuell den Ukraine-Krieg wurde der Scheinwerfer noch einmal anders auf die Wissenschaft gelenkt, als es vorher der Fall gewesen ist. Das Wort Krise suggeriert jedoch, dass es sich um einen Zustand handelt, der irgendwann wieder aufhört, also irgendwann sind Corona und der Krieg vorbei, für die Umweltprobleme haben wir vielleicht ein paar Lösungen, der Strompreis reguliert sich wieder und dann kommt das kollektive Durchschnaufen. Ich glaube nicht, dass das so ist, sondern dass wir lernen müssen in einem Zustand zu leben, in dem solche Dinge permanent da sind. Vielleicht ist die Wissenschaft auch in der Verantwortung, mit dem Wort „Krise“ vorsichtiger umzugehen und die Wissenschaftskommunikation müsste weg von der Krisenrhetorik und vermitteln, dass wir zum Beispiel nicht nur phasenweise und aufgrund vorübergehender äußerer Bedingungen, sondern generell weniger verbrauchen und weniger Abfall produzieren sollten, um unter veränderten Rahmenbedingungen gut leben zu können. Da hat natürlich die Sozialpolitikforschung auch eine große Verantwortung.
Ist es auch zu einer Veränderung der Kommunikation im Verhältnis Forschung, Gesellschaft und Medien gekommen?
Ich finde, die Präsenz von Wissenschaftler*innen im gesellschaftlichen Diskurs ist schon mehr geworden, auch Journalist*innen als Instanz des Erklärens und Interpretierens sind so gefragt wie nie zuvor. Mein Eindruck ist jedoch auch, dass es manchmal kein klares Rollenverständnis mehr gibt: Was ist eigentlich meine Aufgabe als Wissenschaftler*in, Politiker*in, Journalist*in – oder auch Moderator*in? Natürlich spielt auch immer die Frage von persönlichen Eitelkeiten eine Rolle. Und das muss ja nicht immer schlecht sein – man sollte sich nur dessen bewusst sein.
Sozialpolitische Maßnahmen oder Ideen werden häufig auf wissenschaftliche Studien zurückgeführt, ein aktuelles Beispiel ist der Armuts- und Reichtumsbericht. Funktioniert die Wissenschaftskommunikation Ihrer Meinung nach gut in der Sozialpolitikforschung?
Die Rolle der Sozialpolitikforschung ist es aus meiner Sicht, die Auswirkungen gesellschaftlicher Entwicklungen und politischen Handelns auf den sozialen Zusammenhalt, auf die sozialen und sozialstaatlichen Infrastrukturen immer wieder deutlich zu machen und die Frage zu stellen, was stärkt auf der einen Seite die Wirksamkeit und gleichzeitig den Zusammenhalt, denn beides geht nur zusammen. Die Gesellschaft lebt von selbstwirksamen, teilhabenden und starken Mitgliedern, die sich ihrer gemeinsamen Verantwortung für die Gesellschaft bewusst sind. Ich glaube, dass die Rolle von Sozialpolitik und Sozialpolitikforschung oft nicht ganz so sichtbar ist. Das, was Sozialpolitikforschung macht, fließt ja in die Gestaltung unseres Sozialstaats ein, ohne dass es gesondert registriert wird. Und natürlich geht es bei Sozialpolitikforschung darum, Antworten auf aktuelle Problemlagen oder Herausforderungen zu geben, aber natürlich auch in die Zukunft zu schauen und soziale Konsequenzen abzuwägen.
Gibt es Unterschiede zu anderen Forschungsbereichen und braucht Sozialpolitikforschung vielleicht spezielle Mittel und Kanäle?
In der Sozialpolitikforschung ist das Herausfordernde und gleichzeitig auch Tolle das Zusammendenken und Zusammenbringen der unterschiedlichen Disziplinen. Also welche Auswirkungen hat politischer Druck auf die rechtlichen, soziologischen oder sozialpsychologischen Fragestellungen. Das ist die große Stärke von Sozialpolitikforschung und damit kann sie tatsächlich Vorreiter für interdisziplinäres Denken sein. Deshalb kommt es vor allem darauf an, dass wissenschaftliche Botschaften und Erkenntnisse verständlich und anschlussfähig sind für den Diskurs, für das gesellschaftliche Gespräch. Natürlich wäre es gut, wenn es dafür genauso einschlägig bekannte Institutionen gäbe wie beispielsweise im Bereich der Wirtschaft mit den großen und bekannten Wirtschaftsinstituten.
Sie machen mittlerweile zwei Podcasts zu gesellschaftlichen Themen. Warum haben Sie sich gerade für dieses Format entschieden und wen möchten Sie damit vor allem erreichen?
Podcasts sind ein gutes Kommunikationsmedium und es gibt, vor allem seit Corona, wirklich eine große Auswahl und Bandbreite. Sich da durchzusetzen ist sehr schwer. Es ist ein gutes Medium, weil man das Hören flexibel im Tagesablauf unterbringen kann. Podcasts haben ein bisschen diese Alltagsnähe, weshalb sie auch so beliebt sind. Du kannst sie hören und dabei Sport machen, Geschirr spülen, bügeln oder spazieren gehen. Es geht ja darum, wie die Botschaften, die Wissenschaft hat, unkompliziert zu den Menschen kommen können und dabei sind die Wege das eine und die Sprache ist das andere. Also so darüber zu sprechen, dass man es versteht. Dann hat man als Hörerin oder Hörer gleich das Gefühl, man putzt nicht nur, sondern hat seine Zeit noch anders gut genutzt. Außerdem hat man ein bisschen das Gefühl, näher dran zu sein an den Gedankengängen. Es werden nicht nur Botschaften gesendet, sondern als Hörer*in nimmt man sozusagen an diesem Gesprächstanz teil.
Mit welchen Formaten könnte man Themen der Sozialpolitikforschung am besten kommunizieren? Podcast, Videos oder animierte Tutorials - was passt am besten zu einer nicht gerade bildorientierten Thematik wie der Sozialpolitik?
Wie gerade gesagt, ist ein Podcast eine gute Möglichkeit. Da ist nur die große Herausforderung, sich in diesem Riesenmarkt Gehör zu verschaffen. Es ist außerdem weiterhin wichtig vor Ort zu sein, dahin zu gehen, wo Gesellschaft passiert. Sich trauen, aus der eigenen Blase rauszugehen und vielleicht erst einmal auf Unverständnis zu treffen. Für Wissenschaft besteht die Notwendigkeit darin, erklären zu müssen, was sie macht, um nicht auf einem entfernten Satelliten zu sitzen, sondern eine Form von Anschlussfähigkeit zu schaffen. Und ich glaube, Sozialpolitikforschung hat mehr als andere Wissenschaften die Möglichkeit, aber auch die Verantwortung, in der Gesellschaft selbst anschlussfähig zu sein und zu bleiben. Fragen stellen, um zu verstehen, und nicht um eine bestimmte Antwort zu bekommen. Zuhören und Weiterdenken. Das klingt simpel, ist es aber oft nicht.
Julia Kropf 2023, Sozialpolitikforschung braucht Wissenschaftskommunikation!, in: sozialpolitikblog, 02.03.2023, https://difis.org/blog/?blog=52 Zurück zur Übersicht
Dr. Julia Kropf ist promovierte Soziologin und war elf Jahre in der Politikberatung und an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik tätig. Als Moderatorin bringt sie verschiedene Perspektiven miteinander ins Gespräch und ist außerdem Gastgeberin von zwei Podcasts: „Wir leisten uns Gesellschaft“ und „Vom Fragen und Zuhören“.
Bildnachweis: Anna Wasilewski