Kaum neue Sozialwohnungen trotz Wohnungsnot
Der soziale Wohnungsbau ist ein wirksames Mittel, um Haushalte mit Wohnungen zu versorgen. Wurden bis in die 1970er noch etliche Sozialwohnungen gebaut, ist Deutschland beim Sozialwohnungsbau heute in Europa fast Schlusslicht. Dr. habil. Konstantin Kholodilin vom DIW Berlin analysiert die Geschichte und die Auswirkungen der Bauförderung.
Wohnraum ist ein wichtiges Grundgut. Doch in vielen städtischen Gebieten herrscht chronischer Wohnungsmangel, insbesondere im Niedrigpreissegment. Daher ist die Regierung aufgefordert, einzugreifen, um die Situation der Haushalte in Not zu verbessern. Hauptziel der Wohnungspolitik ist die Bereitstellung von bezahlbarem, angemessenem und nachhaltigem Wohnraum. Die Wohnungspolitik verfügt über eine breite Palette von Instrumenten, darunter sowohl restriktive Maßnahmen (Mietkontrolle, Schutz vor Zwangsräumung und Wohnungsrationierung) als auch Fördermaßnahmen (Förderung des sozialen Wohnungsbaus, Wohngeld und Steuervorteile für Wohneigentümer).
Auch den Bau neuer Wohnungen kann die Politik gezielt fördern, etwa durch staatliche Beihilfen (Bauzuschüsse), zinsgünstige oder zinslose Darlehen, staatliche Kreditbürgschaften oder die Senkung von Steuern und Gebühren (insbesondere der Grundsteuer), die Bereitstellung von Bauland zu niedrigen Preisen oder in Form langfristiger Erbpacht oder mit dem Bau von Sozialwohnungen. Durch ein steigendes Wohnungsangebot soll Wohnen erschwinglicher werden. Auf diese Weise sollen in erster Linie einkommensschwache Haushalte mit bezahlbarem Wohnraum versorgt werden.
Die Miete im sozialen Wohnungsbau unterliegt Beschränkungen und wird in der Regel in Höhe der Bau- und Betriebskosten zuzüglich eines moderaten Aufschlags festgelegt, der einen „angemessenen Gewinn” für den Vermieter darstellt. Um eine Sozialwohnung zu mieten, muss man nachweisen, dass man über ein ausreichend geringes Einkommen verfügt. Die genaue Grenze ist etwa abhängig von der Haushaltsgröße und der Region. Nach dem Einzug wird das Einkommen des Mieters jedoch praktisch nie überprüft. Dies hat zur Folge, dass Haushalte, deren Einkommen im Laufe der Mietzeit wächst, weiterhin Sozialwohnungen bewohnen, obwohl sie formal nicht mehr anspruchsberechtigt sind. Der Anteil der fehlbelegten Wohnungen bis erreichte in junger Vergangenheit 34 Prozent des Sozialwohnungsbestandes (Deutscher Bundestag 2017, S. 62-63). Viele Personen mit niedrigem Einkommen erhalten auch deswegen keinen Zugang zu Sozialwohnungen. Die Überprüfung der Einkommensverhältnisse der in Sozialwohnungen lebenden Haushalte als auch die Durchführung von Zwangsräumungen wären zu kostspielig. Das mindert die Effizienz des sozialen Mietwohnungsbaus.
Vor- und Nachteile des sozialen Wohnungsbaus
Jede Politik hat ihre Vor- und Nachteile, denn neben den intendierten Auswirkungen generiert sie in der Regel eine Reihe nichtintendierten Effekt. Was sind die Auswirkungen des sozialen Wohnungsbaus? Um diese Frage zu beantworten, habe ich die umfangreiche empirische Literatur zu den Auswirkungen des Sozialwohnungsbaus analysiert. In der Literatur werden zahlreiche Effekte analysiert, darunter Wohnungsqualität und -kosten, Wohlfahrt, Ungleichheit und Kriminalität. Hier werden nur die Effekte aufgegriffen, über die es die meisten Studien gibt.
So wurden etwa die Effekte auf die Preise der Immobilien untersucht, die sich in der Nähe zu Sozialwohnungen befinden. Die Hypothese lautet, dass die Nähe zu Sozialwohnungen dämpfend auf die Preise anderer Immobilien wirkt, da Sozialwohnungen überwiegend von Menschen mit niedrigen Einkommen und sozialen Status bewohnt werden. Diese Annahme wird aber nicht bestätigt. Es gibt sogar eine leichte Tendenz zu steigenden Preisen.
Zweitens, wird angenommen, dass jede Subvention die Anreize zu arbeiten reduzieren kann, besonders wenn das Einkommen nah an dem Schwellenwert liegt, der zur Miete einer Sozialwohnung berechtigt. Es lohnt sich demnach, auf einen Teil der Beschäftigung und Verdienste zu verzichten, um den Anspruch auf die Subvention zu bekommen. Doch die Studien zeigen, dass die Versorgung mit den sozialen Wohnungen entweder keinen oder einen negativen Einfluss auf die Beschäftigung hat.
Drittens zeigen die Studien, dass der soziale Wohnungsbau sowohl mentale als auch physische Gesundheit der Mieter verbessert. Denn Sozialwohnungen verbessern die Wohnqualität und Stabilität der Wohnsituation. Außerdem kann die subventionierte Miete Mittel für Lebensmittel und Gesundheitsversorgung freisetzen.
Viertens zeigt eine Mehrheit der Studien, dass die Versorgung mit den sozialen Wohnungen die Schulergebnisse der Kinder in den betroffenen Familien verbessert. Denn die Bereitstellung der Wohnungen zu angemessenen Preisen erlaubt den Familien, mehr in die Ausbildung ihrer Kinder zu investieren.
Fünftens kann das Leben in den sozialen Wohnungen zu einer Abnahme der Mobilität führen – auch das zeigt die internationale Literatur. Im Gegenteil zum Wohngeld, ist man an eine Wohnung gebunden, die mindestens preislich sehr attraktiv ist. Der Anreiz umzuziehen ist gering, denn man befürchtet, solche Wohnung auf dem anderen Ort nicht zu finden.
Alles in allem überwiegen in der internationalen Literatur die erwünschten Effekte des sozialen Wohnungsbaus. Allerdings müssen diese gegen die Kosten der Bauförderung abgewogen werden. Außerdem könnten andere Maßnahmen, wie zum Beispiel das Wohngeld, zielgenauer wirken. Eine Subventionierung der Haushalte durch das Wohngeld ist flexibler, denn sie erlaubt ihnen eine freiere Auswahl der Wohnungen. Die Haushalte können dadurch den Wohnraum wählen, der zu ihren Bedürfnissen und Präferenzen besser passt. Außerdem wird dabei der Anspruch auf Förderung regelmäßig überprüft, und so wird die Fehlbelegung vermieden.
Die Ergebnisse der Analyse sind in Abbildung 1 grafisch dargestellt. Der linke Balken zeigt die Anzahl der Studien, die einen negativen Effekt des sozialen Wohnungsbaus auf die entsprechende Variable festgestellt haben, also zum Bespiel sinkende Immobilienpreise, einen Rückgang der Beschäftigung oder eine Verschlechterung der Gesundheit. Der rechte Balken zeigt die Anzahl der Studien, die einen positiven Effekt fanden, etwa eine Verbesserung der Schulleistungen oder eine Zunahme der Umzugsmobilität. Die Höhe des Balkens in der Mitte entspricht der Anzahl der Studien, die keinen statistisch signifikanten Effekt der Bauförderung auf die jeweilige Variable gefunden haben.
Abbildung 1: Effekte der Wohnungsbauförderung, Darstellung: K. A. Kholodilin.
Historische Entwicklung des sozialen Wohnungsbaus in Deutschland
Vor dem Ersten Weltkrieg war in Deutschland die Wohnungsbauförderung die Sache der Wohltätigkeitsorganisation und Behörden, zum Beispiel des Reichsamts des Innern. Sie kümmerten sich lediglich um die Versorgung mit günstigem Wohnraum der Arbeiter und Beamte des Reiches. Erst seit 1918 wurde die staatliche Wohnungsbauförderung auf weitere Bevölkerungsgruppen erweitert, insbesondere die im Krieg versehrten Menschen sowie Witwen der im Krieg Gefallenen (Kholodilin 2017). In den 1920ern Jahren kam wegen der Hyperinflation und vor allem der Mietpreiskontrolle die Baufreude der privaten Bauherren fast zum Erliegen. Deshalb förderte der Staat den Immobilienbau massiv, sodass bis Anfang 1930er der Wohnungsbau fast ausschließlich aus den staatlich geförderten Wohnungen bestand.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem damit verbundenen enormen Verlusten an Wohnungsbestand sowie der Einwanderung Millionen Geflüchteter und Vertriebener entstand eine regelrechte Wohnungsnot. In jene Periode förderte der Staat wiederum das Gros des Wohnungsbaus, siehe Abbildung 2.
Abbildung 2: Gesamter und sozialer Wohnungsbau in Deutschland, 1949–2022, Quellen: Destatis, Fachkommission Wohnungsbauförderung,Darstellung: K. A. Kholodilin.
Nachdem sich die Lage spürbar verbessert hatte, ging die Bauförderung und damit die Anzahl der bewilligten und fertiggestellten sozialen Wohnungen zurück. In Deutschland entfällt mit der Zeit die Preis- und Belegungsbindung, also die Bindung an eine Vermietung an Personen mit entsprechend geringen Einkommen, von Sozialwohnungen. Daher ist der anfangs sehr große Bestand an Sozialwohnungen allmählich geschrumpft. Betrug er im Jahr 1968 noch 19,4 Prozent des gesamten Wohnungsbestands, liegt er aktuell noch bei rund 4 Prozent. Diese Tendenz zum schrumpfenden Sozialwohnungsbestand begann in den 1970er Jahren und ist in vielen Industrieländern üblich (Kholodilin, Kohl, and Müller 2022). Im EU-Vergleich befindet sich Deutschland jedoch aktuell am unteren Rand (siehe Abbildung 3).
Abbildung 3: Anteil der sozialen Wohnungen am gesamten Wohnungsbestand in EU-Staaten und Norwegen im Jahr2017, Quelle: Housing Europe (2017), Darstellung: K. A. Kholodilin.
Trotz der Verschärfung des Wohnungsmangels stagniert der soziale Wohnungsbau und ist noch sehr weit von dem durch die Bundesregierung gesetzten Ziel von 100.000 neuen Sozialwohnungen pro Jahr entfernt. Es gibt also einen viel Spielraum für Verbesserungen. Die Bundesregierung hat geplant die Bundesfördermittel für den sozialen Wohnungsbau von 1275 Millionen Euro im Jahr 2023 auf 1583 Millionen Euro im Jahr 2024 zu erhöhen. Ob das, angesichts der gestiegenen Baukosten und Zinsen sowie der starken Einwanderung, genug ist, um mehr Sozialwohnungen zu schaffen, bleibt abzuwarten.
Literatur
Deutscher Bundestag (2017). Sozialer Wohnungsbau in Deutschland — Entwicklung, Bestand, Perspektive. Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.– Drucksache 18/8855. 18. Wahlperiode.
Housing Europe (2017). “The State of Housing in the EU 2017.” European Federation of Public, Cooperative and Social Housing. https://www.urbangateway.org/document/state-housing-eu-2017.
Kholodilin, Konstantin A. (2017). “Quantifying a Century of State Intervention in Rental Housing in Germany.” Urban Research and Practice 10 (3): 267–328.
Kholodilin, Konstantin A., Sebastian Kohl, and Florian Müller (2022). “The Rise and Fall of Social Housing? Housing Decommodification in Long-Run Comparison.” Journal of Social Policy ***: 1–27.
Konstantin A. Kholodilin 2023, Kaum neue Sozialwohnungen trotz Wohnungsnot, in: sozialpolitikblog, 14.09.2023, https://difis.org/blog/?blog=76 Zurück zur Übersicht
Dr. habil. Konstantin A. Kholodilin ist seit 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter des DIW Berlin. Er hat sein Studium an der Staatlichen Universität Sankt Petersburg absolviert, an der Universitat Autònoma de Barcelona promoviert und an der Europa-Universität Viadrina habilitiert. Von 2001 bis 2004 hat er an der Université catholique de Louvain geforscht. Er hat zahlreiche Arbeiten in internationalen Fachzeitschriften publiziert. Seine Forschungsschwerpunkte sind Immobilienwirtschaft und Wirtschaftsgeschichte.
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