Ist sozial gerechter Klimaschutz möglich?
Der Streit über Heizungsgesetz[1] und Klimageld[2] verdeutlicht: Klimaschutz gelingt nur, wenn Sozialpolitik mitgedacht wird. Ohne Änderungen des Lebensstils wird es nicht gehen, schreibt Prof. Stephan Rixen von der Universität zu Köln, doch die Lasten des Wandels müssen gerecht verteilt werden.
Klimaschutzpolitik muss „Klimasozialpolitik“[3] sein oder sie scheitert. Und das heißt: Klimaschutzpolitik muss Anerkennung kommunizieren. Dazu gehört auch ein respektvoller Umgang mit den Menschen an, denen ihr Eigenheim am Herzen liegt. Das Eigenheim hat für zahlreiche Menschen viel mit Selbstwertgefühl und Familiensinn zu tun, also mit dem Gefühl, etwas für sich und die Menschen, die ihnen wichtig sind, erreicht zu haben. Wer politische Verantwortung trägt und nicht respektiert, was den Selbstwert von Menschen ausmacht, handelt politisch fahrlässig. Wähler*innen, die sich in ihrem Lebensstil als abgewertet erleben, werden Konsequenzen an der Wahlurne ziehen – wenn sie überhaupt noch wählen gehen. Diese Sorgen kennen Mieter*innen übrigens in ähnlicher Weise: Was bedeuten technologische Umrüstungen durch Vermieter*innen für Mietzins und Nebenkosten? Mieter*innen wollen hier Klarheit und Sicherheit. Wo sie das vermissen, droht der Denkzettel bei der nächsten Wahl.
Der Verweis auf den Satz „Eigentum verpflichtet“ (Artikel 14 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz) hilft hier nicht weiter. Die Inpflichtnahme auch von Eigentümer*innen muss wie jeder Grundrechtseingriff verhältnismäßig sein. Kein noch so hehres Ziel entbindet von der Prüfung, ob Grundrechtseingriffe Unzumutbares abverlangen. Aber auch hier muss unterschieden werden. Je mehr es um „anonymes“, etwa von Kapitalgesellschaften zu Spekulationszwecken gehaltenes Eigentum geht, desto stärker ist die Sozialbindung und sind Einschränkungen aus Gemeinwohlgründen zulässig. Je mehr es indes um Wohneigentum geht, das für die Zwecke der Alterssicherung während des Berufslebens angeschafft wurde, desto strenger ist die verfassungsrechtliche Kontrolle von Eingriffen. Das gilt erst recht mit Blick auf den Besitz, den Mieter*innen an Wohnungen haben; auch er ist im verfassungsrechtlichen Sinne Eigentum.[4] Die Belastungen des Eigentums müssen je nach Lebenslage, der Relevanz des Eigentums für die Deckung basaler Bedürfnisse (zu denen das Wohnen gehört) und der jeweiligen finanziellen Leistungsfähigkeit fair dosiert werden. Der Eigentumsbegriff ist differenziert auszulegen.[5]
Der Gesetzgeber muss zwischen Klimaschutz und sozialen Folgen abwägen
Sozialpolitisch sensible Klimaschutzpolitik verträgt keine Alles-oder-Nichts-Strategien. Das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so. Die Pflicht zum Klimaschutz (Artikel 20a Grundgesetz) „genießt […] keinen unbedingten Vorrang gegenüber anderen Belangen, sondern ist im Konfliktfall in einen Ausgleich mit anderen Verfassungsrechtsgütern und Verfassungsprinzipien zu bringen […].“[6] Das bezieht sich gleichermaßen auf Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels wie auf Maßnahmen, die die Folgen des Klimawandels lindern (Anpassungsmaßnahmen). Effektive Klimaschutzpolitik wird damit nicht unmöglich. Im Gegenteil: Bei der Umsetzung von Art. 20a GG hat der Gesetzgeber laut Bundesverfassungsgericht einen „erheblichen Gestaltungsspielraum“[7]. Geboten sind jedoch differenziert abgewogene und gut begründete, sozial verträgliche klimaschutzpolitische Maßnahmen.
Die Entwicklung stringenter klimasozialpolitischer Strategien steht leider noch am Anfang.[8] Dringend erforderlich ist ein klimasozialpolitisches mainstreaming, das alle klimaschutzpolitischen Maßnahmen daraufhin befragt, welche Folgen sie unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit haben. Soziale Gerechtigkeit hat eine materielle und zugleich eine immaterielle Dimension, die die Frage betrifft, ob Menschen sich mit ihrem Lebensstil, in dem sich ihr Selbstverständnis und damit ihr Selbstwert spiegelt, als anerkannt erfahren.[9] Genau das ist die Crux der Klimaschutzpolitik: Dass es ohne Änderungen des Lebensstils nicht gehen wird. Aber die Belastungen, die mit der Veränderung der Lebensweise verbunden sind (und sie umfasst auch Umgestaltungen des Wohninfrastruktur), müssen gesamtgesellschaftlich möglichst gerecht verteilt werden, also im Sinne proportionaler Gerechtigkeit so, dass die Belastungen nicht schematisch ausfallen und vor allem die Wucht der Last nicht die übermäßig trifft, die ohnehin schon genug zu tragen haben.
Das Heizungsgesetz setzt soziale Klimaschutzpolitik um
Diesem Anliegen trägt das künftige sogenannte Heizungsgesetz Rechnung. Nur einige Beispiele: Das Gesetz weist gleich zu Beginn auf die Notwendigkeit „sozialverträgliche[r] und effizienzsteigernde[r] Maßnahmen zur Einsparung von Treibhausgasemissionen sowie der zunehmenden Nutzung von erneuerbaren Energien oder unvermeidbarer Abwärme für die Energieversorgung von Gebäuden“ (§ 1 Absatz 1 Gebäudeenergiegesetz – GEG) hin. Es schützt Mieter*innen gegen die maßlose Umwälzung von Umrüstungskosten (§ 71o GEG). Es stellt klar, dass die Pflicht zur Umrüstung von Heizungsanlagen bei Härtefallen, nämlich dem Bezug einkommensabhängiger Sozialleistungen, entfallen kann (§ 102 Absatz 5 GEG). Überdies sind Befreiungen von den Anforderungen des GEG unter anderem bei „unbilliger Härte“ möglich (§ 102 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 GEG). Dazu gehören, wie die Begründung zum GEG-Änderungsgesetz hervorhebt, zum Beispiel Pflegebedürftigkeit oder Schwerbehinderung.[10]
Der Gesetzgeber differenziert zudem nach der Funktion des in Rede stehenden Eigentums: Die Regelung über die unbillige Härte gilt zwar auch für juristische Personen, allerdings hängt deren Schutz, wie die Gesetzesbegründung betont, von der gemeinwohlbezogenen Funktion ab, die sie erfüllen: „Eine unbillige Härte liegt […] auch für Eigentümerinnen und Eigentümer von Gebäuden vor, die zum Betrieb einer Einrichtung der sozialen, kulturellen oder sonstigen Daseinsvorsorge, wie zum Beispiel eines Krankenhauses, einer Pflege- Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung, einer Kindertagesstätte oder einer anderen Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe sowie eines Frauenhauses oder einer anderen Schutz- und Zufluchtseinrichtung für gewaltbetroffene Personen oder des ehrenamtlichen Vereins- und Sportwesens, der freiwilligen Feuerwehr, Bürgerhäusern oder Vereinsheimen genutzt werden, die für eine bedarfsgerechte Versorgung erforderlich sind, insbesondere, soweit in den genannten Fällen die nach den Anforderungen dieses Gesetzes erforderlichen Investitionen eine unverhältnismäßige Belastung darstellen würden, welche zu Einschränkungen der gesetzlichen Leistungen führen kann oder die Aufrechterhaltung des Betriebs der betroffenen Einrichtung gefährdet.“[11]
Ferner wird das Eigentum auch mit Blick auf die ökonomische Lage von Personen geschützt, deren Eigentum, etwa ein Einfamilienhäuschen, im Vergleich zu teuren Investitionen, etwa in eine neue Heizung, nicht werthaltig genug ist. Eine unbillige Härte kann also auch vorliegen, „wenn die notwendigen Investitionen nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Wert des Gebäudes stehen“ (§ 102 Absatz 1 Satz 3 GEG). Das ist kein Freifahrtschein für Beliebigkeit, sondern muss genau geprüft werden. Schließlich: Soweit es um die finanzielle Förderung der Nutzung erneuerbarer Energien für die Erzeugung von Wärme oder Kälte und von Energieeffizienzmaßnahmen geht, betont die Gesetzesbegründung ähnlich wie bei der unbilligen Härte: „Bei dem künftigen Förderregime sind die sich aus Anwendung dieses Gesetzes ergebenden sozialen Auswirkungen für Privathaushalte sowie die sich aus Anwendung dieses Gesetzes ergebenden Kostensteigerungen für soziale Dienste und Einrichtungen, Kultur und Gesundheitseinrichtungen, Einrichtungen der Daseinsvorsorge sowie Frauenhäuser und andere Schutz- und Zufluchtseinrichtungen für gewaltbetroffene Personen zu berücksichtigen.“[12]
Klimasozialpolitik braucht Kompromisse
Klimaschutzpolitik, die zugleich verfassungsgemäße Klimasozialpolitik sein will, kann nie so entschieden kompromisslos sein, wie sich das (nicht nur) Aktivist*innen der „Letzten Generation“ wünschen. Kompromisse sind im Lichte des Sozialstaatsprinzips geboten. Das künftige GEG sieht solche Kompromisse vor. Über ihre politische Klugheit kann selbstverständlich gestritten werden. Angesichts des erwähnten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums sind die Regelungen des sog. Heizungsgesetzes, soweit sie in vertretbarer Weise um einen Ausgleich mit sozialen Erfordernissen bemüht sind, kein verfassungsrechtliches Problem. Zugegeben: Der „Expertenrat für Klimafragen“ hat jüngst auf die vielen Defizite der Klimaschutzpolitik hingewiesen; er moniert nicht zuletzt die „fehlende Abschätzung von […] sozialen […] Folgewirkungen“ im Entwurf des Klimaschutzprogramms 2023 der Bundesregierung.[13] Kritik an einer schwächelnden Klimaschutzpolitik, auch am jüngst geänderten GEG, bleibt nötig, damit der Verweis auf die sozialpolitischen Folgen der Klimaschutzes nicht zur Ausrede wird, den Klimaschutz mäßig engagiert voranzubringen. Und doch sollte klar sein:
Politiker*innen, die heute klimaschutzpolitische Verantwortung tragen, sind nicht zu beneiden. Sie müssen permanent auf viel zu vielen Baustellen an der Quadratur des Kreises arbeiten. Das Publikum sollte das akzeptieren und nicht so tun, als seien die heutigen Politiker*innen für die öko-sozialen Herausforderungen verantwortlich, mit denen in den nächsten Jahrzehnten zu rechnen ist. Sie sammeln hauptsächlich die Scherben auf, die frühere Generationen bedenkenlos hinterlassen haben. Sozial gerechter Klimaschutz ist möglich, aber nur, wenn nicht aufs Neue Porzellan zerschlagen wird. Neben dem Klima darf nicht auch noch der soziale Zusammenhalt auf der Strecke bleiben. Genau dazu – zu sozialem Zusammenhalt im Klimawandel – will das geänderte „Heizungsgesetz“ – das Gebäudeenergiegesetz – beitragen. Ein neuer Klimaschutz-Beschluss aus Karlsruhe sollte sich der Klimasozialpolitik als Aufgabe des Sozialstaats widmen und daran erinnern: Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gehören untrennbar zusammen.
[1] Gemeint ist das Gesetz zur Änderung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) und anderer mit diesem Gesetz in Zusammenhang stehender Rechtsvorschriften, Bundestagsdrucksachen 20/6875, 20/7619 (https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw36-de-gebaudeenergiegesetz-957824).
[2] Zur Idee eines Klimageldes, das klimapolitische Belastungen sozial abfedern soll, Marcel Fratzscher: Die Verweigerung des Klimageldes verschärft die soziale Ungleichheit, ZEIT online, 28.7.2023 (https://www.zeit.de/wirtschaft/2023-07/klimageld-einkommen-entlastung-inflation-energiekosten).
[3] Katharina Bohnenberger: Klimasozialpolitik. Ein Forschungsstandbericht zur Verbindung von Klimapolitik und Sozialpolitik, DIFIS-Studie 2022/3, August 2022 (https://difis.org/f/7f9566f4c3.pdf).
[4] Bundesverfassungsgericht. Beschluss vom 26. Mai 1993 (1 BvR 208/93), BVerfGE 89, 1 (https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv089001.html).
[5] Stephan Rixen: Zukunftsthemen des Sozialstaats – Solidarität, Eigentum, Erwerbsarbeit, Diskriminierung, in: Die Sozialgerichtsbarkeit (SGb) 70. Jahrgang, Heft 3, 2023, 137-144.
[6] Bundesverfassungsgericht: Beschluss vom 24. März 2021 (1 BvR 2656/18 u.a.), BVerfGE 157, 30, Randnummer 198 (http://www.bverfg.de/e/rs20210324_1bvr265618.html).
[7] Bundesverfassungsgericht: Beschluss vom 24. März 2021 (1 BvR 2656/18 u.a.), BVerfGE 157, 30, Randnummer 207 (http://www.bverfg.de/e/rs20210324_1bvr265618.html).
[8] Eva M. Welskop-Deffaa/Stephan Rixen (Hrsg.): Klimasozialpolitik. Der Klimaschutz-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts und seine Folgen, Lambertus-Verlag, Freiburg i. Br. 2023.
[9] Stephan Rixen: Ambivalenzen der Gleichheit. Zwischen Diversität, sozialer Ungleichheit und Repräsentation in: Jens Kersten/Stephan Rixen/Berthold Vogel (Hrsg.), Ambivalenzen der Gleichheit. Zwischen Diversität, sozialer Ungleichheit und Repräsentation, transcript, Bielefeld 2021, 9-32 (https://www.transcript-verlag.de/media/pdf/e9/21/67/ts5172_1pjx4p874Yh4PZ.pdf).
[10] Bundestags-Drucksache 20/7619, S. 96 (zu § 102 GEG).
[11] Bundestags-Drucksache 20/6875, S. 142 (zu § 102 GEG).
[12] Bundestags-Drucksache 20/6875, S. 138 (zu § 89 GEG).
[13] Expertenrat für Klimafragen: Stellungnahme zum Entwurf des Klimaschutzprogramms 2023, 22. August 2023, S. 26 (https://expertenrat-klima.de/content/uploads/2023/08/ERK2023_Stellungnahme-zum-Entwurf-des-Klimaschutzprogramms-2023.pdf).
Stephan Rixen 2023, Ist sozial gerechter Klimaschutz möglich?, in: sozialpolitikblog, 28.09.2023, https://difis.org/blog/?blog=78 Zurück zur Übersicht
Prof. Dr. Stephan Rixen ist Direktor des Instituts für Staatsrecht der Universität zu Köln und Mitglied des Deutschen Ethikrats. Er ist externes Gründungsmitglied des Deutschen Instituts für Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung (DIFIS) und Mitglied des Scientific Advisory Board des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik. Weitere Informationen unter https://staatsrecht.jura.uni-koeln.de/
Bildnachweis: Privat