Das FNA - engagierte Forschungsförderung zu Fragen der Alterssicherung
Das Forschungsnetzwerk Alterssicherung (FNA) der Deutschen Rentenversicherung wurde 2001 in einer Zeit ins Leben gerufen, in der die Gesetzliche Rentenversicherung unter erheblichem Druck stand. Das FNA sollte zu einer rationalen, evidenzbasierten Diskussion über die Alterssicherung, insbesondere zu Fragen umlagefinanzierter und kapitalgedeckter Systeme, beitragen. Brigitte L. Loose ist Leiterin des FNA und spricht über die Aufgaben des FNA, Alterssicherungsforschung in der Sozialpolitikforschung stärker aufzustellen und interdisziplinär zu vernetzen, über Forschungsförderung, beteiligte Forschungsdisziplinen und Zukunftsperspektiven.
Interview: Ute Klammer
2021 hat das Forschungsnetzwerk Alterssicherung (FNA) der Deutschen Rentenversicherung sein 20-jähriges Jubiläum gefeiert. Wie kam es damals eigentlich zur Gründung des FNA und warum brauchte und braucht die Rentenversicherung ein solches Forschungsnetzwerk?
Im Jahr 2001 hat der damalige Präsident des Verbands deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) Herr Professor Ruland, das Forschungsnetzwerk auf den Weg gebracht. Es war eine besondere Zeit, so um die Jahrtausendwende, in der das umlagefinanzierte Rentensystem stark unter Druck stand. Der Aktienmarkt boomte wie verrückt. Wir hatten bedenkliche Prognosen über die künftige Entwicklung der Alterssicherung und auch des Beitragssatzes in der Rentenversicherung, unter anderem durch ein Prognos-Gutachten. Die perspektivische Entwicklung der Beitragssätze ist immer auch ein Kräftemessen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Wie deutet man solche Prognosen und welche Perspektiven hat man? Zu der Zeit erschien der Kapitalmarkt sehr aussichtsreich und das legte die Vermutung nahe, dass man jetzt auf drei Säulen setzen, also die Kapitaldeckung stärken müsse. Gleichzeitig wurde die Rentenversicherung in Hochglanzbroschüren der Versicherungswirtschaft und der Finanzakteure wirklich niedergeredet. Es erschien so, als sei die Rentenversicherung unglaublich marode. Da war es aus der Perspektive der Rentenversicherung ein ganz wichtiges Anliegen, evidenzbasierte Fakten zu schaffen, um den Diskurs rationaler zu machen und Wissen einzuspeisen in die sehr interessengeleitete Debatte um die Frage nach Umlage- und Kapitaldeckungsverfahren.
Es war ja auch die Zeit der Riester-Reform, wo ebenfalls das Drei-Säulen-System propagiert und im Gegenzug zu Leistungseinschränkungen in der gesetzlichen Rentenversicherung stark auf den Ausbau kapitalgedeckter betrieblicher und privater Vorsorge gesetzt wurde.
Ja, genau. Damals war es sogar so, dass auf Seiten der Gewerkschaften die Leute gesagt haben, „macht Aktienkurse für uns, irgendwie ist Arbeit nicht mehr so die Zukunft“. Also das hat sich im Laufe der Zeit ein bisschen relativiert. Die sehr großen Hoffnungen, die in den Aufbau der kapitalgedeckten Vorsorge gesetzt wurden, haben sich nicht erfüllt.
Das war der Startschuss vor 20 Jahren. Und welche Rolle spielt das FNA seitdem in der Landschaft der Sozialpolitikforschung?
Unsere Rolle sehen wir vor allem darin, das Thema Alterssicherungsforschung innerhalb der Sozialpolitikforschung stark zu machen und das Forschungsfeld interdisziplinär stärker zu vernetzen. Wir versuchen, durch unsere Förderung für Alterssicherungsforschung zu interessieren. Wir animieren auch zu neuen Forschungsthemen, weil wir durchaus eine Menge Fragen haben in diesem Bereich, die einer wissenschaftlichen Klärung zugeführt werden sollten. Wir wollen Grundlagen schaffen für einen rationalen und evidenzbasierten Diskurs zur Alterssicherung. Und wir machen das mit verschiedenen Instrumenten. Unser Hauptschwerpunkt ist die Finanzierung von Forschungsprojekten. Wir machen es aber auch mit gezielter Nachwuchsförderung, sprich Stipendien und unserem jährlichen FNA-Forschungspreis. Uns ist auch sehr wichtig, dass der Nachwuchs eine wissenschaftliche Perspektive hat, um mit Alterssicherungsforschung eine einschlägige wissenschaftliche Karriere machen zu können. Dafür ist es sehr wichtig, dass Alterssicherungsforschung im Bereich der Sozialpolitikforschung sich noch weiter etabliert und zu angrenzenden Themenfeldern anschlussfähiger wird.
Welche Disziplinen sind denn im Forschungsnetzwerk Alterssicherung und bei der bisherigen Förderung vertreten? Gibt es auch Disziplinen, die vielleicht noch stärker einbezogen werden sollten?
Alterssicherungsforschung muss interdisziplinär sein, aber thematisch liegt sie bei ein paar Wissenschaftsdisziplinen eher im genuinen Erkenntnisinteresse als bei anderen, diese sind bei uns dann auch vorwiegend vertreten. Es ist natürlich naheliegend, dass volkswirtschaftliche Fragen und soziologische Fragen bei der Alterssicherung wirklich sehr große Bedeutung haben. Insofern haben wir Schwerpunkte in der Soziologie und den Wirtschaftswissenschaften sowie Kooperationen zwischen den beiden Disziplinen. Wir haben allerdings auch rechtswissenschaftliche Forschungsprojekte, die uns sehr wichtig sind. Wir haben geschichtswissenschaftliche Projekte, wir hatten ein ganzes Bündel von historischen Projekten zur Geschichte der Rentenversicherung, wir haben politikwissenschaftliche Projektanträge und Stipendien, die wir fördern. Es gibt ein paar Felder, die wir gerne noch weiter ausbauen würden. Das ist aber gar nicht so leicht. Da müssen wir Perspektiven schaffen und vielleicht auch noch mal stärker in den Austausch gehen. Wir wären gerne stärker im Bereich Philosophie, Psychologie und Gerontologie aufgestellt und versuchen entsprechende Forschungsprojekte anzuregen. Wir haben auch interessante Disziplinen, die ganz neu sind. So haben wir gegenwärtig einen interdisziplinären Forschungsantrag vorliegen, der Robotik und Soziologie zusammenbringt. Es geht um Pflege und die Unterstützung von Menschen, die Erwerbstätigkeit und Pflege vereinbaren müssen. Ein sehr spannendes Thema. Also das Feld ist bunt und wir sind immer interessiert an unterschiedlichen und innovativen Perspektiven auf die Alterssicherung. Wir sehen unseren Job darin, die Disziplinen miteinander in Verbindung zu bringen. Innerhalb einer Forschungscommunity sind die Forschenden meist gut vernetzt, die wissen auch, was aktuell geforscht wird. Es ist aber wichtig, auch Personen mit unterschiedlichen Perspektiven und Relevanzsystemen zusammenzubringen. Das tun wir gerne auch auf unseren Veranstaltungen, die wir bewusst inter- und transdisziplinär anlegen.
Kann man denn feststellen, dass geförderte Projekte einen Einfluss auf die Debatte zur Alterssicherung haben? Haben Ergebnisse dazu beigetragen, dass sich die Diskussion geändert hat?
Ich denke schon, dass sie das tun. Die Forschungsergebnisse tragen mittelbar und unmittelbar dazu bei. Zum einen erkennen wir seit geraumer Zeit, dass die Befunde unserer Forschungsförderung auch in die politische Diskussion einfließen. Da gibt es Bezüge in kleinen Anfragen oder in großen parlamentarischen Anfragen, wo wirklich Wissensfragen zur Alterssicherung gestellt werden, zu denen wir aus der geförderten Forschung beitragen können. Forschungsprojekte sind immer auch Auslöser für weitere Forschungsfragen. Die Fragen an die Alterssicherung versiegen nicht, sondern stellen sich immer wieder neu. Politisch gibt es bei Fragen zur Alterssicherung ganz oft Zeitdruck. Wir wollen das jetzt wissen, wir müssen es sofort wissen. Dieser Zeitdruck lässt sich aber mit dem Ablauf empirischer Forschung meist nicht vereinbaren. Daher haben wir versucht, ein Projektformat zu finden, welche auf diese Anforderung reagieren kann. Das sind kleine Projekte, die sich mit in kürzeren Zeiträumen zu beantwortenden Fragen befassen. Aber Forschung braucht normalerweise deutlich länger und muss auch perspektivisch über Jahre hinweg geplant werden. Da man aktuelle Debatten nicht planen kann, setzen wir Schwerpunkte, zum Beispiel Erwerbsminderungsrenten. Es gibt aber auch Themen, die ständig auf der Agenda sind. Es ist sozusagen ein Dauermonitoring, was da stattfinden muss. So müssen wir selbstverständlich immer die Entwicklung in der Arbeitswelt im Blick behalten, weil Arbeit und Alterssicherung zwei Dinge sind, die unmittelbar zusammenhängen. Veränderungen in der Arbeitswelt wirken sich auf den Rahmen für die Alterssicherung aus. Dazu gehören natürlich auch Fragen der sozialen Verteilung in Bezug auf die Beziehenden von Leistungen. Soziale Ungleichheit wird immer ein Thema sein. Es wird auch interessieren, welche Verteilungsergebnisse infolge von Reformen zu erkennen sind. Zum Beispiel ist es eine spannende Frage, ob jetzt nach Einführung des Grundrentenzuschlags die Diskussion um Altersarmut beendet ist. Ist die Gesellschaft zufrieden mit dieser Lösung, oder wird die Altersarmut unvermindert als Problem wahrgenommen? Wie entwickeln sich die Diskurse um Alterssicherung? Es gibt viele Felder, wo sich immer wieder neue Fragen für Forschung stellen.
Welche künftigen Forschungsdesiderate seht ihr denn beim FNA? Werden die Themen eher aktiv angestoßen, oder ist es eher die Strategie zu sehen, welche Themen aus der Wissenschaft an das FNA herangetragen werden? Wie wird intern im Haus abgestimmt, was die Rentenversicherung selber an Forschung macht und was extern als Forschung gefördert wird?
Das sind spannende Fragen. Wir haben beides. Man kann bei uns Forschungsanträge ganz ohne große Vorgespräche einreichen. Aber es ist natürlich auch unser Wunsch, für bestimmte Fragen oder für bestimmte Themenfelder potentielle Projektnehmende zu finden. Wir kommunizieren sehr viel in der Wissenschaftscommunity. Wir regen auch bestimmte Fragen an, und manchmal können wir auch Fragen aufwerfen, die dankbar von der Wissenschaft aufgegriffen werden. Denn Wissenschaft weiß Praxisrelevanz und Anwendung ihrer Ergebnisse zu schätzen. Die Forschenden sind oft sehr zufrieden, wenn sie das Gefühl haben, das ist jetzt nicht nur eine akademische Frage, sondern meine Arbeit hat tatsächlich eine ganz konkrete lebensweltliche Relevanz für eine große Institution wie die Rentenversicherung. So haben wir lange jemanden gesucht, der uns sagen kann, wie sich die Situation im Kontext des Schlagworts „Erwerbshybridisierung“ (also die gleichzeitige Ausübung abhängiger sowie selbständiger Erwerbsformen) entwickelt. Was ist das überhaupt? Wie viele Menschen betrifft es? Welche Strukturen und Entwicklungen sind zu erkennen? Ist das nur ein Hype, oder muss sich die Rentenversicherung darauf einstellen? Es konnte schließlich ein geeignetes Forscherteam gefunden werden, das dann tatsächlich auch mit einer guten Datenbasis, dem Taxpayer-Panel, arbeiten konnte. Das sind so Fragen, die wir anstoßen. Es gehört zu den Alleinstellungsmerkmalen des FNA, dass es immer Feedbackrunden gibt und wir eine ziemlich maßgeschneiderte Betreuung von Anträgen und von potenziellen Antragsstellenden im Feld der Alterssicherungsforschung anbieten. Es gibt zudem immer die Möglichkeit, dass wir gewissermaßen „aus dem Bauch der Rentenversicherung“ sagen, für uns ist dieses Thema relevant und wir wollen mehr darüber wissen. Dann steht der wissenschaftliche Antrag im Einklang mit Zusammenhangswissen aus einer sehr großen Verwaltung. Wir sind im FNA sozusagen die Schnittstelle. Wir versuchen, Wissen in die Rentenversicherung hineinzubringen, damit die Forschungsergebnisse hier auch einfließen können. Wir bemühen uns darum, dass die Rentenversicherung ein gut informierter Akteur im sozialpolitischen Feld ist und speisen dafür Forschungsergebnisse in die internen Diskussionen ein. Zum anderen geht es darum, Zusammenhangswissen über ein hochkomplexes System wie das Alterssicherungssystem in die Wissenschaft zu kommunizieren. Insofern sitzen wir da an einer zentralen Stelle zwischen Praxis und Wissenschaft und versuchen, da spannende Dinge auf den Weg zu bringen.
Das FNA war ja auch von Anfang an Partner des DIFIS. Wie könnte man die Kooperation noch weiter ausbauen? Im DIFIS ist Alterssicherung ja kein eigener Schwerpunkt. Das ist vielleicht auch gut so, das macht ja das FNA. Aber es gibt zum Beispiel einen DIFIS-Schwerpunkt zu Lebensverläufen und sozialer Sicherung und einen anderen zur Entwicklung der Arbeitswelt, und auch im DIFIS ist die interdisziplinäre Vernetzung ein wichtiges Ziel. Da gibt es unmittelbare Bezüge. Wie könnte eine weitere Kooperation zwischen FNA, Rentenversicherung und DIFIS aussehen?
Das Schöne ist für das FNA, dass wir relativ frei darin sind, uns Formen der Kooperation zu überlegen. Wir waren sehr froh über die Gründung des DIFIS, bringen uns sehr gerne ein. Wir freuen uns auch über die schon bestehende Zusammenarbeit und ihre Ergebnisse. Es ist ein guter Ansatz, dass wir angesichts gemeinsamer Interessen versuchen, Synergieeffekte zu erzielen, indem wir uns vernetzen und indem wir auch gemeinsam bestimmte Fragen bespielen. Die mit dem DIFIS und anderen Akteuren für diesen Sommer geplante Summer School ist ein schönes Beispiel dafür. Wir wollen alle den Nachwuchs unterstützen und inspirieren. Wenn wir das gemeinsam hinkriegen, sind das tolle Ansätze. Wir können uns unter Umständen auch gemeinsame Projekte vorstellen. Es ist immer eine Frage von Ressourcen, aber wir sind offen für Kooperationen. Das ist sicher bei euch im DIFIS ähnlich.
Das ist auf jeden Fall so, wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit! Vielen Dank für das Gespräch!
Brigitte Loose 2023, Das FNA - engagierte Forschungsförderung zu Fragen der Alterssicherung, in: sozialpolitikblog, 01.06.2023, https://difis.org/blog/?blog=64 Zurück zur Übersicht
Brigitte L. Loose ist Soziologin und leitet seit 2015 das Forschungsnetzwerk Alterssicherung (FNA) der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund). Flankiert durch perspektiv erweiternde Arbeitseinsätze bei den Bundesministerien für Arbeit und Soziales sowie für Familien, Senioren, Frauen und Jugend beschäftigt sie sich seit über 20 Jahren für die DRV Bund mit Systemfragen der Alterssicherung. Ihre thematischen Schwerpunkte sind Frauenalterssicherung, Altersarmut und Wissenstransfer zwischen Forschung und Verwaltung.
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