Sozialer Ausgleich jenseits des Klimageldes
Bereits vor dem Ende der Ampel-Regierung war klar, dass das Klimageld nicht mehr realisiert wird. Dennoch sollte die Idee, klimaschutzbedingte Belastungen für Geringverdienende abzufedern, nicht aus dem Blick geraten. Sie ist grundrechtlich indiziert. Zugleich hängt die gesellschaftliche Akzeptanz der Transformation von Verteilungsfragen ab. Gesetzgeberische Maßnahmen sind notwendig, auch wenn sie das Sozialrecht komplizierter machen.
Wenn Menschen ihre Wohnung nicht mehr angemessen beheizen, nicht mehr kochen, abwaschen oder duschen können, weil die Energiepreise zu hoch sind, ist der Gesetzgeber in der Handlungspflicht. Das ergibt sich aus dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG. Diesen Handlungspflichten kommt der Gesetzgeber mit den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Rahmen der im SGB II geregelten Grundsicherung für Arbeitslose und der im SGB XII geregelten Sozialhilfe und der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung prinzipiell nach. Diese Leistungen sichern bedürftigen Haushalten die Kosten der Unterkunft und Heizung, sowie die Kosten für die weiteren Grundbedürfnisse des täglichen Lebens, zu denen auch die Versorgung mit Strom gehört. Die Übernahme dieser Kosten gestaltet der Gesetzgeber allerdings ganz unterschiedlich – mit unterschiedlichen sozialen und ökologischen Auswirkungen.
Heizung, Strom und Haushaltsgeräte – es gelten unterschiedliche Regelungen
Für die Heizung werden grundsätzlich diejenigen Kosten angesetzt, die tatsächlich für die Beheizung der Unterkunft entstehen. Die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung werden jedoch nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nur übernommen, „soweit sie angemessen sind.“ Die Angemessenheit bildet somit auch eine Obergrenze für die Anerkennung der Heizkosten. Übersteigen die tatsächlichen Aufwendungen die Angemessenheitsgrenze, hat die leistungsberechtigte Person keinen Anspruch auf Übernahme des überschießenden Betrages. Die „Angemessenheit“ ist dabei ein unbestimmter Rechtsbegriff, der in der Rechtsprechung der Sozialgerichte in Bezug auf die Heizkosten ausgelegt worden ist. Zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze werden kommunale und dort, wo diese nicht verfügbar sind, der bundesweite Heizspiegel herangezogen. Soweit die Heizkosten bezogen auf die angemessene Wohnfläche und die konkrete Heizungsart, die aus dem Heizspiegel abgeleiteten Grenzwerte überschreiten, droht den Haushalten, dass Kosten nicht übernommen werden. Solange die Haushalte im „angemessenen Rahmen“ bleiben, setzt das Sozialrecht für sie keine Anreize, Heizenergie zu sparen, da Heizkostenerstattungen jeweils der leistenden Behörde zufließen. Dies ließe sich leicht ändern, indem ein Guthaben bei den Heizkosten nicht mehr oder nur noch eingeschränkt anspruchsmindernd berücksichtigt, also die Leistungsempfänger*innen an dem Ergebnis ihrer eigenen Einsparungen finanziell beteiligt würden. Da jedoch nur die angemessenen Heizkosten übernommen werden, ist das Sparpotential beschränkt.
Anders stellt sich die Situation bei den Stromkosten dar: Die Kosten für Strom sind aus dem Regelbedarf zu bestreiten, der dafür eine Pauschale vorsieht. Da der Haushaltsstrom zu den Regelbedarfen gehört und damit pauschal als Geldleistung durch die Jobcenter und Sozialämter übernommen wird, kommen Einsparungen den Leistungsempfänger*innen direkt zugute. Dies setzt Anreize zum sparsamen Umgang, gleichzeitig droht aber eine finanzielle Überforderung durch die Energiekosten bis hin zu einer Unterbrechung der Stromversorgung durch den Grundversorger. Diesbezüglich enthält zwar § 19 der Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV) Schutzmechanismen, wie besondere Informationspflichten des Grundversorgers und auch das Sozialrecht selbst sieht zur Abwendung von aus der Unterbrechung der Energieversorgung resultierenden Notlagen die Übernahme von Schulden durch den Sozialleistungsträger vor (§ 22 Abs. 8 SGB II, § 36 Abs. 1 SGB XII). Dies setzt aber immer voraus, dass Leistungsempfänger*innen aktiv handeln, wenn sie in eine finanzielle Überforderung kommen.
Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Bereich, ist die Versorgung der Leistungsempfänger*innen mit Haushaltsgeräten (Schmidt-De Caluwe R./Ekardt, F./Rath, T. (2022). Die Erstausstattung mit Haushaltsgeräten gehört gemäß § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II nicht zum Regelbedarf, damit in Zusammenhang stehende Leistungen werden gesondert erbracht. Dabei können die Leistungsträger*innen darauf achten, dass ausschließlich Geräte mit einer hohen Energieeffizienz angeschafft werden. Dies führt sowohl zu einer Energieeinsparung, die der Gesellschaft zugutekommt, als auch zu einer Einsparung auf Seiten der Leistungsempfänger*innen, die bei einem sparsameren Betrieb der Geräte von den eingesparten Stromkosten direkt profitieren. Soweit Ersatzbeschaffungen als Sachleistung erbracht werden, könnte man auch dort behördlicherseits auf die Energieeffizienz achten und entsprechende Darlehen an die Energieeffizienz der Geräte knüpfen, soweit diese als Neu- und nicht Gebrauchtgeräte angeschafft werden sollen.
Abfederung sozialer Härten über das Wohngeld und das soziale Mietrecht
Neben den Haushalten, die Unterstützungen zum Lebensunterhalt über die Grundsicherung erhalten, gibt es eine große Anzahl an Haushalten (Ende 2023 laut statistischem. Bundesamt ca. 1,2 Millionen Haushalte) die Unterstützung für Wohn- und Heizkosten über das Wohngeldgesetz (WoGG) erhalten, das gegenüber den anderen Sozialleistungen vorrangig ist. Zahlreiche Menschen sind auf die finanzielle Unterstützungsleistung des Staates angewiesen, um ihre Wohnkosten inklusive Heizung und Haushaltsenergie zu decken. Die klimapolitische Debatte liegt also richtig, wenn sie die sozialen Folgen des Klimaschutzes auch jenseits der Gewährleistung sozialstaatlicher Minima bedenkt und dafür auf die Vorgaben des Sozialstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 1 GG verweist (Lange 2023). Das WoGG soll die vollumfängliche Abhängigkeit von Sozialleistungen gerade vermeiden und stellt insoweit eine bloß partielle Existenzminimumsicherung dar (Rixen 2021).
Diese partielle Existenzminimumsicherung hat der Gesetzgeber bereits zu Beginn des Jahres 2021 um eine CO2-Komponente aufgestockt, als Ausgleich für die zu diesem Zeitpunkt eingeführte CO2-Bepreisung im Bereich von Verkehr und Wärme, die durch das Brennstoffemissionshandelsgesetz umgesetzt wird. Um zu verhindern, dass immer mehr Haushalte in die nachrangigen Sicherungssysteme der Grundsicherung nach dem SGB II und SGB XII „abrutschen“, hat der Gesetzgeber das Wohngeld zudem Ende 2023 durch das Wohngeld-Plus-Gesetz den gestiegenen Wohn- und Verbraucherpreisen angepasst und zugleich die für die Bezugsberechtigung maßgeblichen Einkommensgrenzen erhöht. Auch wurde eine dauerhafte Heizkosten- und Klimakomponente aufgenommen. Je höher die Mietkosten, etwa auch durch energetische Sanierungen, und die Heizkosten ausfallen, desto mehr finanzielle Aufwendungen muss der Staat jedoch für die partielle Existenzminimumsicherung aufwenden (2023 lt. statistischem Bundesamt 4,3 Milliarden Euro). Auch hat sich der Empfänger*innnenkreis – was auch gerade durch die Wohngeld-Plus-Reform beabsichtigt war – um etwa 80 Prozent auf 1,2 Millionen Haushalte erweitert. Mittelfristig führt jedoch kein Weg daran vorbei, einen energetisch angemessenen Gebäudebestand zu schaffen. Bis dahin ist neben der Ausweitung von Sozialleistungen auch das soziale Mietrecht gefragt. Dort sollte es – wie schon während der Pandemie – Kündigungsschutzregeln für die Wohnung sowie bei den Energielieferverträgen geben.
Mengensteuerung und Suffizienz
Der notwendige Übergang in eine dekarbonisierte Welt erfordert, dass Produktionsprozesse, Nutzungen und alltägliches Verhalten grundlegend eingeschränkt und umgestellt werden müssen. Ziel einer verantwortungsvollen und sozialen Energiepolitik muss sein, Anreize zu Verhaltensänderungen und energiebewusstem Verhalten zu geben, ohne gerade Menschen mit geringen und mittleren Einkommen übermäßig zu belasten. Energie darf nicht zu einem Luxusprodukt für Reiche werden, andererseits wird Energie oft nur dann effektiv eingespart, wenn es sich „im Geldbeutel“ bemerkbar macht. In diesem Spannungsfeld sind kreative gesetzgeberische Lösungen gefragt. Einfache gesetzgeberische Antworten sind angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Sicherung des Existenzminimums, bestehender Haushalts- und Verwaltungsrealitäten, sowie der komplexen Struktur der sozialen der sozialen Sicherungssysteme nicht zu erwarten und auch nicht möglich.
Literatur
Schmidt-De Caluwe R./Ekardt, F./Rath, T. (2022): Sozialrechtliche Folgefragen einer Energiewende in Übereinstimmung mit dem Paris-Abkommen, Soziales Recht 1/2022, 11 ff.
Statistisches Bundesamt (2024): Pressemitteilung Nr. 373 vom 30. September 2024, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/09/PD24_373_22311.html (zul. abgerufen am 11.11.2024).
Lange, P. (2023): Staatliche Wohnraumvorsorge, Tübingen.
Rixen, S. (2021): Sozialrechtliche und sozialpolitische Aspekte des Wohnens: Zur (Re-)Konstruktion des angemessenen Wohnens, In: Hans-Günter Henneke, Bauen und Wohnen auf dem Lande und in der Stadt, Stuttgart, 171–185.
Pia Lange 2024, Sozialer Ausgleich jenseits des Klimageldes, in: sozialpolitikblog, 28.11.2024, https://difis.org/blog/?blog=142 Zurück zur Übersicht
Prof. Dr. Pia Lange ist Rechtswissenschaftlerin und Professorin für Öffentliches Recht, Europarecht, Sozialrecht sowie Geschlechter- und Vielfaltsdimensionen an der Universität Bremen. Sie ist Direktorin des Zentrums für Europäische Rechtspolitik (ZERP) und forscht unter anderem zur sozialen Ausgestaltung der ökologischen Transformation.