Kann Sozialpolitik die Akzeptanz für Klimaschutz erhöhen?
Finanzielle Ausgleiche wie das Klimageld sollen Klimaschutzpolitik sozial abfedern und das Vertrauen in sie erhöhen. Eine neue Studie zeigt, dass diese Hoffnung nicht unbegründet ist, jedoch Grenzen hat. Sie gibt Einblicke in die tieferliegenden Begründungsmuster verschiedener sozialer Gruppen und zeigt Wege in eine sozial-gerechte Klimaschutzpolitik auf.
Hochwasser wie jüngst in Süddeutschland, aber auch Dürren oder Waldbrände nehmen zu. Dies ist in den letzten Jahren und Monaten in Europa und auch in Deutschland deutlich zu spüren. Expert*innen sind sich einig, dass solche Extremwetterereignisse im Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen (IPCC/ Seneviratne 2021). Ein Großteil der Bevölkerung hat ein Problembewusstsein in Bezug auf Klima- und Umweltfragen. So stimmten in einer Umfrage des Eurobarometer aus dem Mai 2024 78 Prozent der befragten Europäer*innen der Aussage zu, dass Umweltprobleme einen direkten Einfluss auf ihr tägliches Leben und ihre Gesundheit haben (Eurobarometer 2024). In einer anderen Eurobarometer-Umfrage aus dem Juli 2023 gaben 77 Prozent der Europäer*innen an, dass der Klimawandel für sie ein sehr ernstes Problem darstelle und 84 Prozent sprachen sich dafür aus, dass die Bekämpfung des Klimawandels zu den Prioritäten gehören solle (Eurobarometer 2023).
Gleichzeitig zeigte die Europawahl vom 08 Juni2024, dass der Klimawandel und Klimapolitik aktuell anscheinend nicht weit oben auf der politischen Agenda stehen. Der Wahlkampf orientierte sich kaum an ökologischen Fragen und die Wähler*innen gaben den grünen Parteien deutlich weniger Stimmen als 2019 (2024: 54 Prozent für die Fraktion der Grünen/EFA; 2019: 71 Prozent; Europäisches Parlament 2024). Blickt man auf die konkrete Bereitschaft der Bürger*innen, sich für das Klima einzusetzen und spezifische Klimamaßnahmen zu unterstützen, zeigen sich deutlich niedrigere Zustimmungswerte: So stimmten bei der erwähnten Eurobarometer-Umfrage aus dem April 2024 nur 42 Prozent der Befragten zu, dass Steuern auf emissionsstarke Aktivitäten erhöht werden sollten. Nur 41 Prozent sprachen sich dafür aus, dass staatliche Subventionen für solche Aktivitäten gestrichen werden sollten (Eurobarometer 2024).
Um die Akzeptanz von Klimaschutz zu erhöhen, wird häufig die Sozialpolitik herangezogen, insbesondere im Sinne finanzieller Ausgleichsmaßnahmen. Wer aufgrund höherer CO2-Bepreisung eine höhere private Stromrechnung hat, soll beispielsweise über ein Klimageld einen Ausgleich erhalten. Arbeitsplätze in fossilen Sektoren sollen nicht einfach wegfallen, sondern in Umschulungsmaßnahmen und Arbeitslosen- und Pensionsansprüche eingebettet werden. Wenn Klimaschutzmaßnahmen „niemanden zurücklassen“, „gerecht und inklusiv“ sind und für eine „faire Gesellschaft“ sorgen (Europäische Kommission 2019, S. 16, S. 2, S. 17), so die Annahme, wird es in der Bevölkerung keinen substantiellen Widerstand gegen sie geben.
Da vor allem diejenigen, die wenig zu den CO2-Emissionen beitragen, häufig überproportional stark von Belastungen durch Klimaschutzinstrumente betroffen sind (Markkanen/Anger-Kraavi 2019), liegt ein umverteilender Ausgleich aus Gerechtigkeitsgründen auf der Hand. Die Ergebnisse unseres Forschungsprojekts zur Legitimität sozialpolitischer Maßnahmen im Kontext der „grünen Wende“ deuten darauf hin, dass Ausgleichszahlungen und ähnliche Maßnahmen die gewünschte Wirkung im Sinne einer vergrößerten Akzeptanz für Klimaschutz nur bedingt erreichen.
Beurteilungen und Begründungsmuster von Klimaschutzinstrumenten
Im Rahmen einer Kollaboration der Universität Hamburg, der Universität Flensburg und der Universität Padua in Italien wurden im Jahr 2022 insgesamt zwölf Fokusgruppen in Deutschland und Italien online und unter der professionellen Leitung von IPSOS durchgeführt. In diesen Fokusgruppen diskutierten je sechs bis sieben Personen miteinander, die so ausgewählt wurden, dass sich die Gruppen hinsichtlich des Einkommens und Bildungsgrades (höher bzw. niedrig) sowie der grundlegenden Werthaltung (liberal bzw. konservativ) unterschieden. Auf einen Mix hinsichtlich Geschlechts, Wohnorts, Alters und Berufs wurde außerdem geachtet. Vor der Diskussion füllten die Teilnehmenden zunächst eine Umfrage aus. In den Diskussionen wurden den Teilnehmenden dann teils provokante Aussagen, die wir vorab aus einer Medienanalyse destillierten, vorgelegt. Mit Aussagen wie „Der Klimawandel bringt Migration, Dürren und Arbeitslosigkeit. Damit soziale Ungleichheiten nicht zu groß werden, sollten Reiche mehr zahlen“ und „Solange mit Öl noch Geld verdient werden darf, werden wir den Klimawandel nicht aufhalten“ initiierten wir eine lebhafte Diskussion. Alle Sitzungen wurden aufgezeichnet und transkribiert, wobei die Namen der Teilnehmenden pseudonymisiert wurden. Ziel der empirischen Analyse war es, die Beurteilungen und Begründungsmuster zu verschiedenen Klimaschutzinstrumenten in unterschiedlichen sozio-ökonomischen Gruppen zu erfassen und zu verstehen. Die Ergebnisse sind kürzlich in der Zeitschrift „Sozialer Fortschritt“ erschienen.
Analysen der deutschen Fokusgruppen bestätigten, was wir auch aus anderen Studien wissen: ein Großteil der Teilnehmenden sah den Klimawandel als großes Problem an (58 Prozent) und der Ansicht war, dass mehr dagegen getan werden müsse (60 Prozent). Über 70 Prozent der Teilnehmenden gaben an, dass sie sich auch persönlich dafür verantwortlich fühlten, dazu beizutragen, den Klimawandel zu reduzieren. Andererseits stimmten auch knapp 38 Prozent der Aussage zu, dass die Gesellschaft sich zu sehr um den Klimawandel sorge und zu wenig um steigende Preise. Immerhin gut 32 Prozent waren der Ansicht, dass manche Politiker*innen den Klimawandel nutzen, um die Freiheit der Bürger*innen zu beschneiden. Diese Daten sind nicht repräsentativ für die deutsche Bevölkerung, weshalb der Fokus unserer Analyse im Projekt auch auf der Betrachtung der Diskussionen lag. Es ging uns primär darum zu verstehen, wie die Personen bestimmte Haltungen und Meinungen begründeten und kontextualisierten.
Individuelle Verantwortung ist umstritten
In den Fokusgruppen in Deutschland drehte sich die Diskussion häufig darum, wie Einzelne individuell Verantwortung für Klimaschutz übernehmen können– beispielsweise durch den Verzicht auf Plastik oder den Kauf energiearmer Elektrogeräte. Dies drückte der Teilnehmer Theo, ein Beamter, besonders prägnant aus: „In dem Moment, wo ich als Verbraucher Verantwortung übernehme, bin ich eben nicht mehr nur der Verbraucher. Dann bin ich Bürger.“ Sozialpolitische umverteilende Maßnahmen wurden von diesen Teilnehmenden zumeist insofern befürwortet, als dass sie nicht nur für mehr Gerechtigkeit sorgen, sondern auch mehr Menschen klimafreundliches Handeln finanziell ermöglichen.
Auf der anderen Seite zeigte sich jedoch auch, dass eine – zwar kleinere, jedoch deutlich ausgeprägte – Gruppe von Teilnehmenden individuelle Konsumverantwortung ablehnte. Diese Teilnehmenden kamen überwiegend aus den niedrigeren Einkommens- und Bildungsschichten. Allerdings war sich diese Gruppe keineswegs einig in ihrer Kritik an individueller Verantwortung für Klimaschutz. Vielmehr konnten wir zwei fundamental unterschiedliche Argumentationslinien beobachten: Zum einen wurde die Kritik an Konsumverantwortung damit begründet, dass dies die Bürger*innen überfordere und nicht genug zum Klimaschutz beitrage. So argumentierte beispielsweise Katja, die arbeitsuchend war: „Also ich habe mal versucht, komplett auf Plastik zu verzichten – das ist fast unmöglich in Deutschland. Und wenn, dann kostet einen das so viel Geld… Und das darf einfach nicht sein. Die Verantwortung wird auf den Einzelnen abgeschoben, doch das müsste politisch geregelt werden.“ Die Forderung nach politischer Regulierung und danach, die „Großemittierenden“ (z.B. Ölfirmen, reiche Luxusyachtbesitzende) in die Pflicht zu nehmen, fand sich im Rahmen dieser Argumentation häufiger. Zum anderen verbanden einige Teilnehmende ihre Kritik an individueller Verantwortung mit einer grundsätzlichen Elitenkritik und Misstrauen gegenüber der Politik. Beispielsweise drückte dies die kaufmännische Angestellte Birgit folgendermaßen aus: „…den Sprit teurer machen, das Gas auf einen Stand bringen, so dass es sich keiner mehr leisten kann… Wir sollen nachher frieren und laut Habeck am besten nur noch zweimal die Woche duschen“. Auch in anderen, ähnlichen Argumentationen zeigte sich eine generelle Ablehnung aller Verantwortlichkeit und sogar von Klimaschutzmaßnahmen als Ganzes. Häufig wurde auch argumentiert, „die großen Verursacher [seien] ja andere Länder, wie zum Beispiel Brasilien, China, Indien“ (Eva, Bürokraft im Handwerk). Diese Teilnehmenden drückten nicht nur vermehrt eine national-protektionistische Sorge um Deutschland aus („Aber nicht, dass es irgendwann mal heißt, es gab mal Deutschland“; Gert, Rentner), sondern betonten meist auch eine umfassende Ablehnung gegen „Verbotspolitik“ (Florian, Entsorger) und moralische Appelle.
Sozialpolitische Umverteilungsmaßnahmen werden von keiner der beiden Subgruppen, die individuelle Verantwortung kritisch sahen, direkt abgelehnt. Die erste (hier: Katja) argumentierte sogar meist grundlegend und recht umfassend umverteilungsfreundlich, hatte jedoch nur bedingtes Vertrauen darin, dass eine stark umverteilende Sozialpolitik auch umgesetzt werden könne. Die zweite Subgruppe (hier: Eva, Gert, Florian) lehnte Umverteilung hingegen stark ab, wenn sie in Verbindung mit Klimaschutz stand. Dies wurde jedoch nicht aus einer Umverteilungsskepsis heraus begründet, sondern mit einer Klimaschutzskepsis – sowie mit einem generellen Misstrauen in staatliche Institutionen. Zudem argumentierte diese Gruppe teilweise für exklusive Umverteilungsleistungen, die bestimmte Gruppen, zum Beispiel Migrant*innen oder Menschen, die als arbeitsunwillig gesehen wurden, ausschließt.
Beide Subgruppen, die individuelle Verantwortung kritisch sahen, lehnen sozialpolitische Umverteilungsmaßnahmen nicht grundsätzlich ab. Skeptisch waren allerdings beide Subgruppen, weil sie Zweifel haben, dass Leistungen auch wirklich bei ihnen ankommen. Hier zeigt sich also ein Misstrauen in die Möglichkeiten der Inanspruchnahme. Die erste Subgruppe (Katja) argumentierte insgesamt umverteilungsfreundlicher. In der zweite dieser Gruppen (Eva, Gert, Florian) wurde Umverteilung jedoch stark abgelehnt, wenn sie in Verbindung mit Klimaschutz stehen. Zudem argumentierte diese Subgruppe teilweise für exklusive Umverteilungsleistungen, die bestimmte Gruppen, zum Beispiel Migrant*innen oder Menschen, die als arbeitsunwillig gesehen wurden, ausschließt.
Nur bedingt Hoffnung für mehr Akzeptanz durch finanzielle Ausgleiche
Wir interpretieren im Projekt diese beiden unterschiedlichen Argumentationslinien gegen eine primäre Verantwortung von Konsument*innen für den Klimaschutz so, dass umverteilende sozialpolitische Maßnahmen in beiden Fällen nur bedingt für größere Akzeptanz von Klimaschutz sorgen können. Während für diejenigen, die sich für mehr staatliche Regulierung aussprachen, finanzielle Ausgleichsmaßnahmen zwar immerhin auch willkommen wären, sind es doch vermutlich eher öffentliche Infrastrukturmaßnahmen wie die Förderung eines umfassenden öffentlichen Personennahverkehrs oder Regulierungen wie beispielsweise Plastikverbote, die die Last von ihren Schultern nehmen und damit ihre konkrete Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen erhöhen könnte.
Teilnehmende, die grundsätzliches Misstrauen gegenüber der Politik äußerten und sich tendenziell gegen jeden Klimaschutz aussprachen, vertrauen gar nicht erst darauf, dass Ausgleichszahlungen auch bei ihnen ankämen – und sollte es anders sein, würden sie vermutlich ihre Skepsis trotzdem nicht so schnell ablegen. Auch hier argumentieren wir, dass ein Fokus auf mehr öffentlicher Infrastruktur und politischer Regulierung zumindest hilfreich sein könnte, der empfundenen moralischen Abwertung, die auch andere Studien belegen (z.B. Mau et al. 2023) etwas entgegenzustellen. Allerdings sollte diese politische Regulierung nicht einer „Verbotspolitik“, die den individuellen Konsum adressiert („zweimal die Woche duschen“) gleichkommen, denn dies stößt auf wenig Verständnis bei den Teilnehmenden.
Konzentriert sich die Regulierung auf Produktion und Infrastruktur, könnte dies das Vertrauen in Institutionen erhöhen und vielleicht auch Teile jener Gruppen wieder erreichen, die dieses Vertrauen verloren haben
Sozialpolitische Maßnahmen im Spiegel der Forschungsergebnisse
Unsere Analysen legen nahe, dass der Wohlfahrtsstaat eine zentrale Rolle bei der Schaffung von Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen spielen kann – jedoch anders als häufig diskutiert. Es zeigt sich, dass einfache finanzielle Ausgleichsmaßnahmen zwar zentral sind, aber vermutlich nicht ausreichen werden, um tiefer verwurzelte gesellschaftliche Spannungen und Konflikte zu lösen. Eine mögliche Strategie kann daher darin bestehen, den Ausbau öffentlicher Infrastrukturen und die Stärkung kollektiver Lösungen voranzutreiben. Dies kann die gesellschaftliche Akzeptanz erhöhen, indem es den Fokus von individueller Verantwortlichkeit hin zu gemeinschaftlichen Lösungen verlagert. Solche Maßnahmen tragen dazu bei, das Vertrauen in politische Institutionen zu stärken und die Kluft zwischen verschiedenen sozialen Gruppen zu überbrücken. Jedoch wird auch die umfangreichste öffentliche Strukturpolitik nicht jedem national-protektionistischen Impuls und jeder Elitenkritik etwas entgegensetzen können. Unsere Analysen zeigen jedoch auch: eine kollektiv verantwortete und sozial möglichst gerechte Klimaschutzpolitik ist davon auch nicht abhängig, robuste Mehrheiten sind auch jenseits von solchen Widerständen möglich.
Literatur
Eurobarometer (2023): Special Eurobarometer SP538: Climate change. Eurobarometer 2954 / SP538, Juli 2023.
Eurobarometer (2024): Attitudes of Europeans towards the Environment. Eurobarometer 3173 / SP550, Mai 2024.
Europäische Kommission (2019): The European Green Deal. 11.12.2019, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/ EN/TXT/?uri=COM Prozent3A2019 Prozent3A640 Prozent3AFIN (letzter Zugriff 08.07.2024)
Europäisches Parlament (2024): Ergebnisse der Europawahl 2024. Abrufbar unter: https://results.elections.europa.eu/de/ (letzter Zugriff 08..07.2024).
IPCC/ Seneviratne, Sonia I. (2021): Chapter 11: Weather and Climate Extreme Events in a Changing Climate. In: Climate Change 2021: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge University Press, Cambridge, 1513–1766.
Markkanen, Sanna und Anger-Kraavi, Annela (2019): Social impacts of climate change mitigation policies and their implications for inequality. In: Climate Policy, 19(7), 827-844.
Mau, Steffen; Lux, Thomas und Westheuser, Linus (2023): Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Suhrkamp, Berlin.
Katharina Zimmermann 2024, Kann Sozialpolitik die Akzeptanz für Klimaschutz erhöhen?, in: sozialpolitikblog, 01.08.2024, https://difis.org/blog/?blog=123 Zurück zur Übersicht
Katharina Zimmermann ist Juniorprofessorin für Soziologie des wirtschaftlichen Handelns an der Universität Hamburg. In ihrer aktuellen Forschung befasst sich sie sich umfassend mit Schnittstellen zwischen Sozialpolitik und Klimaschutz. Sie ist Mitglied des Leitungsteams im Forschungsfeld „Sozialpolitik und ökologische Nachhaltigkeit“ des DIFS, leitet mehrere Forschungsprojekte zu sozial-ökologischen Fragen und ist Mitbegründerin des „Sustainable Welfare and Eco-Social Policies Network“.
Bildnachweis: Studio Monbijou