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NEUES AUS DER SOZIALPOLITIK
SOZIALPOLITISCHE LEKTÜRE
Drei Fragen an …
Barbara ThiessenProfessorin für Gendersensible Soziale Arbeit und Leiterin des Instituts Sozialer Wandel und Kohäsionsforschung (IKON) sowie Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA).
DIFIS-Gespräch: Pia Jaeger
Egal ob in der Familien-, Bildungs-, Beschäftigungs-, Armuts-, Gesundheits- und Migrationspolitik oder aktuell in der Corona-Pandemie: Sozialarbeiter*innen arbeiten an vorderster Front und setzen sozialpolitische Entscheidungen in der Praxis um. Die Professorin für Soziale Arbeit an der Hochschule Landshut, Barbara Thiessen, spricht im DIFIS-Gespräch über das Verhältnis von Sozialer Arbeit und Sozialpolitik sowie über die Probleme der Ökonomisierung des Sozialen.
Soziale Arbeit befasst sich mit der Verhinderung, Bearbeitung und Bewältigung sozialer Problemlagen. Leider tendieren wir in Sozialer Arbeit oft dazu, Probleme vor allem auf individueller Ebene anzugehen. Zum Beispiel haben Alleinerziehende möglicherweise nicht nur Unterstützungsbedarf bei der Kindererziehung, sondern leben in prekären Rahmenbedingungen: in einer zu kleinen Wohnung, oder sie jonglieren drei prekäre Beschäftigungsverhältnisse und sind dadurch nur eingeschränkt interaktionsfähig. Sozialpolitik schafft die Voraussetzungen, die sich auf der individuellen Ebene als förderlich oder als misslich erweisen. Hier muss Soziale Arbeit anwaltlich laut werden, weil sie sonst den Kern ihres Auftrags verfehlt. Das funktioniert auch umgekehrt: Soziale Arbeit verändert sozialpolitische Rahmenbedingungen, etwa wenn Missstände skandalisiert werden, wie häusliche Gewalt. Aus fachlichem Protest haben sich historisch und aktuell bedeutsame neue sozialpolitische Regulierungen und Angebote entwickelt, wenn Betroffene und Fachkräfte Missstände anprangern und für angemessene Finanzierungen und gesetzliche Regelungen streiten.
Zum einen bekommen die politischen Stellungnahmen, die wir als Berufsverbände oder als wissenschaftliche Fachgesellschaften, wie die Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA), formulieren, wenig Aufmerksamkeit. Wissenschaft Soziale Arbeit findet vor allem an Hochschulen für angewandte Wissenschaften statt, dort stehen aber kaum Forschungsmittel zur Verfügung und es gibt keinen Zugang zu Grundlagenforschungsmitteln, wie bei der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG), weil dort eher Universitäten adressiert werden. Zum anderen zeigen sich auf der Seite der Praxis missliche Auswirkungen einer Ökonomisierung des Sozialen. Die Vergabeverfahren der öffentlichen Hand an freie Träger werden meistens nach dem niedrigsten Angebot entschieden. Das bedeutet, dass freie Träger versuchen günstige Angebote zu machen und notwendige Verlängerungen von Maßnahmen gar nicht erst beantragen, um den nächsten Auftrag zu sichern, um nicht als unbequem zu gelten.
Ich würde die Grundsicherung auf ein Niveau anheben, das die gesetzlich zugesicherte gesellschaftliche Teilhabe tatsächlich ermöglicht und grundsichernde Leistungen für alle, auch für alle Geflüchteten in gleicher Weise, zur Verfügung stehen. Zweitens darf private Care-Arbeit keine Armutsfalle bleiben. Sorge für Familienangehörige sollte ebenso wie Erwerbsarbeit zu Rentenpunkten führen und zugleich braucht es mehr Geschlechtergerechtigkeit, indem das Ehegattensplitting sowie Mini- und Midi-Jobs abgeschafft und bei Eheschließung statt Zugewinngemeinschaften die Errungenschaftsgemeinschaft eingeführt werden. Und als drittes: Die Istanbul Konvention, die in Deutschland geltendes Recht ist, sollte endlich umgesetzt werden.

Barbara Thiessen
Professorin für Gendersensible Soziale Arbeit an der Hochschule Landshut, Leiterin des Instituts Sozialer Wandel und Kohäsionsforschung (IKON).
Forschungsschwerpunkte: Genderdynamiken im Kontext von Intersektionalität, Care Theorien, Geschlecht und Soziale Arbeit, Beratung, Supervision und Gleichstellungspolitiken in Organisationen der Wissenschaft und der Sozialen Arbeit.
Bildquelle: Uta Kellermann